Chaosprinz Band 1
ähm, du bist doch schwul, oder?« Nervös blinzle ich ihn an.
»Ich hab es dir nicht gesagt, weil es für uns keine Rolle gespielt hat, und außerdem ist unsere Situation ja eine ganz andere«, meint er ruhig.
Ich sehe sein Gesicht an. Es ist meinem ganz nah. Ich kenne es mittlerweile sehr genau. Wenn ich die Augen schließe, dann kann ich es sofort in meinem Kopf sehen, ich kann es jederzeit heraufbeschwören. Ich liebe sein Gesicht. Nur die Gedanken hinter dieser vertrauten Stirn, die verwirren und überraschen mich immer und immer wieder.
»Ich finde schon, dass das sehr wichtig für uns ist«, sage ich nun und meine Stimme zittert. »Mir erzählst du irgendwas von Familienehre und Gesellschaft und Trallala und dabei bist du schwul… Wieso können wir dann nicht zusammen sein?«
»Bambi, es geht doch gar nicht um Schwulsein oder Nichtschwulsein. Unser Fall liegt völlig anders: Wir sind Brüder!« Ernst sieht er mich an. Oh nein, nicht schon wieder dieser Scheiß. Ich seufze tief und schließe die Augen. Ich möchte nichts mehr von diesem Thema hören.
Alex streicht mir durch das immer noch feuchte Haar. Sein Blick ruht auf meinen Lippen. Er beugt sich herunter und küsst mich. Meine Fingerspitzen kribbeln wie irre und irgendwie tut mir mein Oberkörper gerade schrecklich weh. Alles zieht sich so seltsam zusammen. Seine Lippen schmecken sanft und süß, trotzdem ist dieser Kuss so bitter. Ich lehne meinen Kopf an seine Schulter.
»Wie geht es jetzt weiter?« Dies ist die Frage, die mich so sehr beschäftigt. Alles andere ist, um ehrlich zu sein, zweitrangig.
»Ich weiß nicht«, antwortet er leise.
»Ich will immer noch mit dir zusammen sein«, sage ich mit fester Stimme.
»Bambi…« Er seufzt.
»Nein, hör mir zu! Ich weiß, es wird schwierig werden. Und wir müssen es ja auch noch niemandem erzählen. Wir warten ab und dann reden wir erst einmal mit Bettina und Pa. Alex, wir haben doch Zeit. Keiner setzt uns unter Druck. Am Anfang wird es ganz sicher Probleme geben. Nicht jeder wird uns unterstützen, aber das klappt schon. Wir schaffen das, weil wir uns haben. Und das ist das Wichtigste!« Wir sehen uns lange in die Augen.
»Wie stellst du dir das vor?«, fragt er gereizt. »Wir leben in diesem Haus als Geschwister. Du bist es doch, der andauernd versucht, eine richtige Familie aus uns zu machen. Du willst, dass dich Maria und die Zwillinge als Bruder und Mom und Dad als Sohn akzeptieren… und ich? Wie passe ich da rein?«
»Das mit dir ist doch was ganz anderes! Ich kann das sehr gut auseinanderhalten«, sage ich schnell.
»Ich aber nicht! Das ist alles so kompliziert!« Er schließt die Augen und lehnt sich ein bisschen zurück.
So kompliziert? Für mich nicht. Ich weiß natürlich, einfach wird es nicht, aber ich bin davon überzeugt, es würde funktionieren.
»Und jetzt?« Meine Stimme klingt ängstlich. Alex zuckt schwach mit den Schultern. »Was ist mit Anja? Wirst du dich von ihr trennen?« Ein ganz anderes Thema. Meine Stimme klingt gleich wieder bissig.
»Wieso sollte ich?«
»Wieso? Hm, keine Ahnung... vielleicht, weil du eigentlich auf Schwänze stehst?« Ich funkle ihn wütend an.
»Hey, werde jetzt nicht vulgär, okay? Sonst können wir das Gespräch auch gleich sein lassen.« Warnend sieht er mich an.
Ich schnaube aufgebracht und spüre, wie sich heiße Flüssigkeit hinter meinen Lidern sammelt. Ich bin so wütend und fühle mich schrecklich hilflos. Trotzig schlucke ich den dicken Kloß in meinem Hals hinunter… Oder versuche es zumindest…
»Also verstellst du dich, bist mit einem Menschen zusammen, den du nicht liebst, und spielst eine Rolle, die dir nicht gefällt. Und warum?«
»Wenn du es so sehen willst, bitte! Vielleicht hast du recht und ich bin ein schlechter Mensch und ein Feigling, doch mir ist das alles egal. Ich entscheide mich für den leichteren Weg, eben weil er leichter ist und weil er weniger Menschen verletzt und verwirrt. Auf diese Art tue ich nicht so vielen Menschen weh«, sagt er sehr leise, aber mit einer gewissen Festigkeit in der Stimme.
»Du tust mir weh«, hauche ich krächzend. »Und dir!«
Alex zieht mich näher an sich ran und küsst meine Schläfe, meine Wangen, die Nasenspitze und dann die Augenlider. Ganz, ganz zärtlich. So zärtlich, dass mein Herz vor Schmerz aufjault. Eine kleine Träne wagt es und stiehlt sich aus dem Winkel meines rechten Auges. Als wäre dies eine Art Startschuss gewesen, erkämpfen sich nun immer mehr von
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