Chaosprinz Band 1
eigentlich das letzte Mal etwas gegessen? Ach ja, heute Mittag in der Mensa. Gedärm mit Erdklumpen und einer Soße aus Regenwasser und Puddingpulver. Kein Wunder, dass mein Magen rebelliert. Wenn ich daheim bin, werde ich mir eine schöne Fünf-Minuten-Terrine gönnen. Hm, lecker. Grummelnd streiche ich mir das Haar aus dem Gesicht.
Stockend geht es weiter. Der fette Daimler vor mir blinkt hektisch, will wohl die Spur wechseln. Als ob es auf der anderen Seite schneller vorangehen würde. Idiot!
Im Radio spielen sie Hits aus den 80er Jahren. Hab ich im Grunde nichts dagegen, doch gerade singen Dieter Bohlen und Thomas Anders von irgendeiner Cherry, cherry lady, und das muss nun wirklich nicht sein. Wie gesagt, mir ist schon schlecht! Ich wechsle schnell den Kanal. Doch keines der Programme kann meine Laune wirklich heben. Politiksendungen, Hörspiele und Pop-Hits geben sich die Klinke in die Hand. Ich drehe das Knöpfchen unermüdlich weiter, bis ich wieder bei Modern Talking gelandet bin.
Frustriert mache ich das Radio aus. Meine Finger trommeln ungeduldig auf dem Lenkrad herum. 20:45 Uhr. Das behauptet zumindest die Digitaluhr auf meinem Armaturenbrett. Bis ich zu Hause bin, ist es ganz sicher schon halb zehn. Wie gerne würde ich einfach nur kurz was essen, duschen und dann nichts wie ins Bett.
Doch wird der Kühlschrank wie immer leer sein, meine dämliche Mitbewohnerin Katharina, eine Spießerin vor dem Herrn, beschwert sich jedes Mal, wenn jemand nach 21:00 Uhr duscht, und schlafen gehen kann ich auch noch lange nicht, ich habe noch einiges fürs Studium zu tun. Ja, ja, das sind die kleinen Freuden des Studentenlebens. Ich stöhne.
Es geht weiter. Nur ein kleines Stück, aber immerhin. Der Daimlerfahrer versucht immer noch, eine Lücke zu finden, um irgendwie schneller voranzukommen. Scheiß Feierabendverkehr. Oder vielleicht ist dort vorne ja auch ein Unfall passiert, wer weiß?
Ein H&M befindet sich direkt an der Straße. Der Laden hat natürlich schon längst geschlossen. Zwei junge Verkäuferinnen dekorieren die Schaufenster neu. Nackt und geschlechtslos stehen die weißen Puppen in ihren Glaskästen. Die Frauen nehmen ihnen die Arme und Beine ab, ohne auch nur einmal mit den Wimpern zu zucken. So ohne Gliedmaßen geben die starren Puppen ein recht bizarres Bild ab.
Grünes Licht erscheint in meinem Augenwinkel. Die Ampel hat endlich umgeschaltet. Es geht weiter. Zumindest für ein paar der wartenden Autos. Ich komme nur knapp zehn Meter voran. Wenn das so weitergeht… Seufzend fahre ich mir mit den Händen über das Gesicht, spüre die kurzen Bartstoppeln. Ich habe heute Morgen verschlafen, es ist keine Zeit mehr zum Rasieren geblieben.
Ich drehe mich um. Auf der Rückbank liegt ein großer Müllsack voller Dreckwäsche. Eigentlich habe ich heute Mittag noch kurz in den Waschsalon fahren wollen, doch nun ist es zu spät. Darum werde ich den dunklen Rollkragenpullover wohl auch morgen anziehen müssen. Zum dritten Mal in dieser Woche. Unterwäsche und Socken wasche ich eben mit der Hand und hänge sie dann in meinem winzigen Zimmer über die Heizung. Geht schon.
Neben dem Müllsack liegt meine Umhängetasche, mein Zeichenblock und in einer großen, grauen Mappe befindet sich der Grund meiner schlaflosen Nächte: eine meiner Seminararbeiten. In zwei Wochen ist Abgabetermin und bisher bin ich mit jedem meiner Entwürfe mehr als nur unzufrieden gewesen.
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Liebe. Wer denkt sich denn heutzutage noch solche Themen aus? »Wenn ich Ihre Bilder ansehe, dann will ich es spüren: Passion!«, ruft der vermeintliche Franzose immer wieder. Bei meinem Bild spürt man nichts. Ich spüre nichts und Monsieur leider auch nicht.
Das Studium an der Kunstakademie hat mir bis zu diesem Zeitpunkt keinerlei Schwierigkeiten gemacht. Ich arbeite hart für meine Ergebnisse und bisher waren diese immer sehr erfolgreich. Nur in diesem Seminar kämpfe ich scheinbar gegen meine ärgsten Dämonen… Passion…
Ich schlafe jede Nacht in einem viel zu kurzen Bett, dessen Federn sich schmerzhaft in meinen Körper drücken. Ich habe zwei Minijobs, die mich voll auslasten, versuche, meine
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