Chaosprinz Band 1
Miete, das Auto und die Kunstakademie mit Bafög und einer Ausbildungsversicherung zu bezahlen, und ernähre mich nur noch von Fertigprodukten. In meinem Leben ist nicht viel Platz für Passion.
Wenn ich daran denke, wie ich als fünfjähriger Junge vor einem weißen Zeichenblock saß und völlig unbefangen und frei mit den Pinseln über das leere Blatt fuhr, dann muss ich schmunzeln. Ja, damals hätte man aus meinen grellbunten Gemälden eine gewisse Leidenschaft herauslesen können, damals fiel es mir nicht schwer, Freude, Trauer und Glück mit der Hilfe von Wasserfarben umzusetzen. Vielleicht wäre ich sogar in der Lage gewesen, Liebe zu malen…
Doch sind diese Zeiten längst vorbei. Heute analysiert man nur noch. Hinterfragt und diskutiert. Für jedes Gefühl muss es doch eine rationale Erklärung geben. Liebe ist doch nur noch die chemische Produktion und Ausschüttung von irgendwelchen Stoffen und Hormonen im Hirn. In ein paar Jahren, wenn Liebe wissenschaftlich nachgewiesen werden kann, gibt es vielleicht Medikamente und Drogen, mit denen man sie dosieren kann.
Ich wünschte, ich könnte jetzt von mir behaupten, ich wäre anders. Bin ich aber nicht. »Beschwören Sie Ihre Erinnerungen herauf, denken sie an Ihre Gefühle, schöpfen Sie Inspiration aus Ihren Erfahrungen.« Monsieur schwenkte aufgeregt seine Arme und sah mich eindringlich an. Er erwartete wohlt, dass ich vor Freude aufjauchzen und mich wie ein Irrer auf meine Leinwand stürzen würde, von einer plötzlichen Eingebung gepackt. Stattdessen schaute ich ihn ernst an und nickte nur. Spinner.
Im Schneckentempo fahre ich über eine der zahlreichen Kreuzungen. Hart bremst der VW Golf vor mir. Die Bremslichter leuchten auf. Der Fahrer hupt wütend. Vor dem Wagen springt ein Typ über die Straße. Er hält einen Aktenkoffer in der Hand, hebt angepisst den Arm und macht eine rüde Geste in Richtung des Golffahrers. Wozu gibt es eigentlich Fußgängerüberwege und Ampeln? Ist wohl lebensmüde.
Jetzt stehen wir wieder. Im Wagen neben mir sitzt ein fetter Kerl, der intensiv in der Nase bohrt. Ich wende mich angewidert ab. Ich beuge mich zum Handschuhfach und suche nach CDs. Ich brauche jetzt einfach etwas Musik. Hm, The Killers, Placebo, Keane, Coldplay, Mando Diao… The Cure. Mit einem surrenden Geräusch verschlingt der Player die flache Scheibe. Ich wähle gleich das erste Lied aus. Lost . Etwas entspannter lehne ich mich im Sitz zurück.
»… lassen Sie sich von Ihren Gefühlen inspirieren…«
Meine Gefühle… was sagen mir meine Gefühle? Das Leben ist keine vorabendliche Sat.1 -Telenovela. Leider oder Gott sei Dank? Egal. Ich glaube nicht an: »… und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute!«
Es gibt auch keine Töpfe und Deckel, keine Liebe auf den ersten Blick und wer die Welt durch eine rosarote Brille sieht, der sollte mal zum Augenarzt.Beziehungen können verdammt schmerzhaft sein. Diese süße, reine Liebe, wie sie nur in kitschigen Liebesliedern und schnulzigen Frauenromanen vorkommt, gibt es nicht. Wozu müsste man denn all diese Rosamunde Pilcher -Filme drehen, wenn sich die Menschen nicht sehnsuchtsvoll in eine Fantasiewelt stürzen wollten. Jeder weiß, die Realität sieht anders aus.
Meine Eltern haben sich getrennt, weil sie sich mit ihrer Liebe gegenseitig zerstört haben. Mein bester Freund setzt Liebe mit Lust gleich und denkt, er findet in der körperlichen auch die seelische Befriedigung. Andere sehen in ihren Beziehungen Schutz vor der Einsamkeit oder sind einfach nur davon überzeugt, eine Partnerschaft würde zum vollkommenen Leben gehören, müsste einfach sein. Alles sehr unromantisch, doch wir wissen ja bereits, die Realität ist nicht romantisch. Ob ich auch ohne die große Liebe leben kann? Keine Ahnung, alles, was ich weiß, ist, ich werde keine andere Wahl haben.
Stop and Go. Die nächste Ampel zeigt rot. Ich habe keine Lust mehr. Mit der rechten Hand fische ich eine Packung Zigaretten aus dem kleinen Fach hinter der Handbremse. Normalerweise rauche ich nicht gerne im Auto. Der Geruch nach kaltem Rauch ist ekelhaft. Doch ich brauche jetzt unbedingt eine Zigarette. Ich hab so Hunger.
Ich lasse das Autofenster runter. Abgase und der Duft nach der abendlichen Großstadt dringen in das Innere des Wagens. Ich zünde mir die Zigarette an, inhaliere tief, lasse den Rauch in meine Lunge, atme ihn mit geschlossenen Augen wieder aus. Besser. Immer noch umspielt mich die sanfte Musik… schön
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