Chaosprinz Band 1
Nervös kaue ich auf meiner Unterlippe herum. »Kim, dann zieh dich doch bitte aus.« Meine Freunde grinsen und Kim zieht amüsiert die Augenbrauen nach oben. »Äh, ich meine natürlich deine Jacke – du kannst deine Jacke ausziehen. Falls dir warm ist… Aber vielleicht frierst du ja und möchtest sie lieber anlassen… Oder soll ich dir noch einen dicken Pulli bringen…?«, plappere ich ohne Punkt und Komma.
»Tobi«, Kim legt mir eine Hand auf die Schulter und lächelt mich zärtlich an. »Ich werde meine Jacke einfach hier an die Garderobe hängen, oder?«
»Ja«, hauche ich beschämt. Mann, wenn die anderen doch einfach verschwinden würden. Es ist schon schlimm genug, dass ich mich so fürchterlich vor Kim blamiere, da brauche ich nicht auch noch Publikum.
»Hast du nicht noch mehr Geschwister?«, fragt Kim interessiert und sieht freundlich zu Maria.
»Doch«, antwortet diese vorlaut, bevor ich überhaupt den Mund aufmachen kann. »Die Zwillinge sind gerade bei unserer Haushälterin und unser Bruder Alex…« Sie grinst fies.
»Der ist sehr beschäftigt«, rufe ich schnell dazwischen. »Der muss ein Lagerhaus in die Luft sprengen.« Mein Puls rast.
Kim sieht mich geschockt an. »Dein Bruder tut was?«
Ich weiß nicht wirklich, worauf er hinauswill, und mache daher ein ziemlich doofes Gesicht, als Maria sich wieder einmischt und mir ungefragt zur Hilfe kommt.
»Alles nur Spiel. Er tut gerne so, als würde er gegen Monster kämpfen und Dinge explodieren lassen. Ist eben ein kleiner Freigeist, unser Alex, nicht wahr, Tobi?« Sie sieht mich an.
»Ähm…«, lautet mein intelligenter Kommentar.
»Ach so, dann ist er wohl noch jünger?«, fragt Kim höflich nach.
»Kann man so sagen. Er ist im Geiste immer noch ein Kind. Ja, er ist leider etwas zurückgeblieben. Aber wir lieben ihn trotzdem.« Maria nickt voller Überzeugung, macht ein ernstes Gesicht und scheint ihre Rache köstlich zu genießen.
»Alex«, plärrt Tom Richtung Wohnzimmer. »Man spricht über dich, komm schnell her!«
Oh Gott, bitte nicht!
Langsam erscheint Alex im breiten Türrahmen. Aufrechter Gang, Kopf erhoben, die Miene kühl und neutral, ganz so wie immer. Er ist so groß. Seine grauen Augen suchen nach Kim und bleiben an ihm haften. Keine Regung. Keine Emotion. Nicht Wut, nicht Hass, nicht Neugier. Nichts. Kim jedoch scheint ehrlich überrascht zu sein. So hatte er sich meinen Bruder wohl nicht vorgestellt…
»Da bist du ja«, quietscht Maria plötzlich in den allerhöchsten Tönen. »Hast du alle bösen Zombies puttputt gemacht?« Sie eilt auf ihren großen Bruder zu, greift nach seinem Unterarm, an dem sie ihn dann mit sich zieht, als wäre er ein debiler, alter Mann. Alex sieht seine Schwester mit zusammengezogenen Augenbrauen an. »Alle Zombies totgemacht? Feiner Alex, ganz lieber Alex!«
Sie streichelt seinen Unterarm. Tom und Lena kichern schon verhalten, während Martin und André dumme Gesichter machen und Elena mich besorgt ansieht. Was soll ich denn tun?
»Äh«, kommt es wieder so konstruktiv von meiner Seite, doch Maria lässt sich nicht beirren. Sie hat Blut geleckt.
»Alex muss jetzt Hallo sagen. Macht der Alex das? Sag mal Hallo zum Kim. Sag mal Hallo!« Sie plappert mit ihm, als sei er zwei Jahre alt oder wäre mal sehr übel auf den Kopf gefallen.
Alex presst die Lippen aufeinander und starrt seine Schwester an. Er ist kein Mann für laute Streitereien. Maria wird ihre Abreibung bekommen… auf eine andere Art und Weise.
»Hallo Alex, ich bin Kim!« Kim spricht sehr langsam, sehr deutlich und betont seinen und Alex' Namen extra stark. Er streckt ihm die Hand entgegen. Alex sieht ihm in die Augen. Maria muss sich ein Grinsen verkneifen und Lena und Tom pressen die Hände auf die Münder. Kim ist ein bisschen verwirrt, er will doch nur nett sein… zu dem behinderten Bruder seines Freundes… Was für eine Katastrophe. Mir wird heiß und kalt.
»Kim, Alex ist nicht behindert, auch wenn er so aussieht«, erkläre ich schnell. Lena und Tom prusten vor Lachen. Ich spüre Alex' Blick im Nacken.
»Ich meine, ich… ich meine, auch wenn es so aussieht…«, verbessere ich mich schnell, als ich meinen Fehler bemerke. »Maria hat ihn nur ärgern wollen. Eigentlich ist er ganz normal. Also meistens. Naja, was ist schon normal? Er hat Psychosen und Neurosen und Ticks und… und noch viel mehr… aber wer von uns kann denn schon behaupten, er hätte so etwas nicht? Hm? Ich meine, Martin hier, der sammelt zum
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