Chaosprinz Band 1
habe jetzt keine Zeit für deinen Sarkasmus, ich muss weiter.«
»Ach ja? Und wohin?« Ja, das ist eine ausgesprochen gute Frage… Wohin eigentlich?
»Tobi schläft heute Nacht bei uns.« Ich drehe mich schnell um. Manus große, warme Hand liegt auf meiner Schulter, er lächelt mich an. Weder Alex noch ich haben sein Näherkommen bemerkt. Wir waren so auf uns konzentriert…
»Ach, so ist das…!« Wütend funkelt Alex Manu an. »Na, dann kann ich ja Mom und Dad sagen, dass sie aufhören können, sich Sorgen zu machen. Und ich wünsche dir noch viel Spaß mit deinem Schweinearzt.«
Er stößt mich hart von sich und ich wäre wohl gefallen, hätte Manu nicht so schnell reagiert und mich aufgefangen. Alex dreht sich nicht mehr um, als er mit schnellen Schritten an seinen Freunden vorbeistürmt, die ihm, nach dem sie mir noch ein paar neugierige Blicke zugeworfen haben, eilig folgen.
Ich starre ihm nach. Wie schafft er das nur immer wieder? Wie gelingt es ihm zum wiederholten Mal, meine Gefühls- und Gedankenwelt völlig auf den Kopf zu stellen…? Warum fühle ich mich plötzlich so schuldig, so schäbig und gemein? Dabei habe ich doch gar nichts falsch gemacht, oder?
»Ich hab alles falsch gemacht.« Manu hört mein Flüstern und streicht mir beruhigend über den Rücken.
»Das glaube ich nicht.«
Doch.
»Na komm, Tobi. Es ist schon sehr spät… oder eher früh… Du musst dich hinlegen, ein bisschen schlafen und morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus.« Seine beruhigenden, einlullenden Worte wärmen mich.
Ich würde jetzt sehr gerne die Arme um seinen breiten, starken Oberkörper schlingen und dem Bummern in seiner Brust lauschen… Stattdessen gehen wir zurück zu den anderen, die immer noch auf dem Gehsteig stehen und auf uns warten.
»Das war ja mal eine filmreife Szene. Wie im Theater! Hättet glatt Eintritt verlangen können.« Janosch grinst mich mitleidig an und ich werde sofort knallrot. Ist ja nicht so, als ob ich mein Pensum an Mich-zum-Vollhorst-machen heute nicht schon zur Genüge ausgeschöpft hätte.
»Lass ihn in Ruhe, Janosch!« Manu hat schützend den Arm um mich gelegt und sieht seinen Freund warnend an.
Dieser zuckt entschuldigend mit den Achseln. »Ich wollte ja nicht unsensibel sein, oder so!«
»Nee, is klar.« Marc scheint genug von der ewigen Rumsteherei zu haben. Er geht weiter und wir anderen folgen ihm schnell.
»Wolltest du deswegen Party machen? Weil du Liebeskummer hast? Worüber hast du dich denn mit deinem Freund gestritten?« Völlig perplex schaue ich Uwe an. Liebeskummer… mein Freund…
»Das war sein Stiefbruder. Und es ging wohl um Familienangelegenheiten. Hab ich recht, Tobi?« Manu antwortet für mich.
»Oh, ach so, tut mir leid.« Uwe schaut mich an, forschend, prüfend.
»Wenn du wieder mal schlecht drauf bist oder einfach mal feiern gehen willst, dann sag uns Bescheid. Wir können dir die besten Clubs der Stadt zeigen. Und wir passen auf dich auf.« Jens wuschelt mir aufmunternd durch die Haare und ich versuche mich in einem dankbaren Lächeln.
»Ja, das machen wir!« Janosch scheint völlig begeistert von dieser Idee. »Wir zeigen unserem kleinen Baby, wie viel Spaß man als schwuler Kerl im Leben haben kann, nicht wahr, Jungs?« Bei so viel Lebensfreude und Optimismus muss sogar ich in meinem jetzigen Gemütszustand lachen und glücklich beobachte ich die anderen, wie sie Janosch lautstark zustimmen.
Wir verabschieden uns voneinander. Die drei gehen zu Fuß in Richtung der nächsten U-Bahn-Station und ich folge Marc und Manu zu deren Auto, das sie in einer dunklen Seitenstraße abgestellt haben. Manu fährt, ich sitze hinter Marc und schaue aus dem Fenster. Wir schweigen.
Ich versuche, das Ziffernblatt meiner Armbanduhr zu erkennen. Fünf Uhr morgens. Die Straßen sind menschenleer und kaum ein Auto ist zu sehen.
Bald wird die Sonne aufgehen. Sonntagmorgen. In den Wohnungen und Häuser werden sich verschlafene Menschen um reichlich gedeckte Frühstückstische versammeln und gemeinsam den freien Tag planen. Familienidylle. Ich seufze. Warum ist das alles nur so scheiß-kompliziert?
»Was ist eigentlich passiert, Tobi?« Manus vorsichtige Frage erinnert mich wieder schmerzhaft daran, dass ich nicht darüber reden will… Aber er hat eine ehrliche Antwort verdient.
»Ich habe mich mit meiner Familie gestritten. Es ist alles nicht so, wie ich mir das vorgestellt habe. Sie wollen mich nicht bei sich haben und ich weiß, ich kann bei ihnen
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