Chaosprinz Band 2
konzentrieren«, motze ich böse. »Ma ist im Moment dein kleinstes Problem…«
Er sieht mich an. »Da hast du recht«, murmelt er.
Wie er da so am Küchentisch sitzt und seinen Apfel in den Händen hält, erinnert er nicht unbedingt an einen erfolgreichen Geschäftsmann und Familienvater Anfang vierzig, sondern viel eher an einen müden Teenager, der sich total verrannt hat und der einfach nicht weiß, wie er aus dem selbst gestrickten Schlamassel wieder herauskommen soll. Er wuschelt sich durch das dunkle Haar und seufzt schwer.
»Was soll ich tun?«, flüstert er. Hat er mit mir gesprochen oder mit sich selbst? Ich bin mir nicht sicher. »Jasmin will mich quälen«, nuschelt er. »Wenn Bettina die Wahrheit erfährt, dann… Sie wird mich verlassen.«
»Vielleicht… wenn du es ihr von dir aus erzählst und es ihr erklärst«, meine ich zaghaft.
»Erklären?«, fragt Pa schnaubend. »Wie denn?« Er schüttelt nur müde den Kopf. »Sie würde mich hassen. Und ich kann es ihr nicht einmal verübeln.« Er wirkt traurig. Richtig traurig.
»Ich kann nicht ohne sie leben«, flüstert er mit belegter Stimme. »Ich liebe sie.«
»Es ist kein Fehler, den Menschen hin und wieder mal zu sagen und zu zeigen, dass man sie liebt«, sage ich und senke meinen Blick.
»Tja, ich bin eben nicht gut in so etwas. Ich bin ein Versager – nicht so wie der sensible, kreative und ehrliche Künstler.« Bitterkeit spricht aus dem letzten Satz.
Wieder ist da Mitleid, das mein Herz flutet.
»Das glaube ich nicht«, nuschle ich.
Unsicher hebe ich den Blick. Er sieht mich an. Sieht mir direkt in die Augen. »Wirklich?«, fragt er zweifelnd.
Ich nicke. Mein Hals schmerzt. Er will etwas sagen, doch Alex stürmt in die Küche und zerstört die seltsame Stimmung.
»Puh«, macht er erleichtert. »Ich bin entkommen.«
Ich weiß nicht, von wem er spricht. Von Jasmin oder Ma? Eilig drehe ich ihm den Rücken zu. Er soll den glasigen Ausdruck in meinen Augen nicht sehen.
Alex erklärt, dass er Hunger hat, und hebt neugierig die Deckel der Töpfe an, die immer noch auf den kühlen Herdplatten stehen. Meine Gedanken sind immer noch bei Pa. Ich will ihm helfen… Das muss ich. Ich bin sein Sohn.
Als ich mich schließlich doch zu Alex umdrehe und wir uns zwei Teller mit kalten Nudeln füllen, ist Pa nicht mehr da.
52. Kapitel
Alles auf einmal
Ich bin ganz froh, heute bei Ludwig im Buchladen arbeiten zu können. Die Stimmung zu Hause ist immer noch seltsam. Manchmal habe ich das Gefühl, in einer zierlichen Glaskapsel zu leben. Alle bewegen sich nur tastend und äußerst vorsichtig voran. Keiner wagt es, laut zu sprechen oder allzu schnell zu handeln. Wir fürchten uns alle davor, mit einer unbedachten Bewegung das gesamte zerbrechliche Konstrukt um uns herum zu zerstören.
Auch mich hemmt diese Angst. Aber es ist nicht unbedingt die Zerstörung an sich, die mich beschäftigt, sondern die Frage, wie groß die Wunden sein werden, die die Scherben uns ganz sicher zufügen.
Ma behagt dieses vorsichtige Schweigen nicht. Am liebsten würde sie sich mit der gesamten Familie an den Tisch setzen und jeden dazu zwingen, der Reihe nach über seine Ängste, Wünsche und Gedanken zu sprechen. Doch bisher hat sie sich noch zurückgehalten. Ich glaube, es sind Alex' graue, kühle Augen, die sie etwas verunsichern.
Sie mag ihn nicht. Er ist ihr zu reserviert. Sie hält ihn für leidenschaftslos und kalt. Zwar hat sie mir ihre Meinung über ihn noch nicht gesagt, aber an ihrem abschätzigen Blick kann ich sehr deutlich erkennen, was sie von ihm hält.
Ich habe mein Leben lang immer auf ihren Rat gehört. Stets bin ich in die Richtung gegangen, die sie mir gezeigt hat, und immer sah ich in ihren Ansichten die ultimative Wahrheit. Nun denke ich über so einiges anders.
Trotzdem verletzt mich ihre Ablehnung gegenüber Alex. Ich sollte mal mit ihr reden. In Ruhe. Ist nur gar nicht so leicht, da sie eigentlich ständig mit Bettina zusammen ist. Als ich heute Morgen aus dem Haus gegangen bin, sind die beiden gerade dabei gewesen, Papier zu schöpfen...
»Tobi, du hast Besuch.« Ludwig trägt einen Stapel Krimis im Arm und nickt Richtung Ladentür.
Verwundert lasse ich meinen Staubwedel sinken. Alex hat mir versprochen, am Mittag vorbeizukommen und mich nach Hause zu fahren, aber es ist doch noch gar nicht so spät? Und darum bin ich auch nicht überrascht, dass es nicht Alex ist, der mich auf der Arbeit besucht.
»Hey, Leute«, rufe ich lächelnd und
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