Chaosprinz Band 2
Kapitel
Liebeswalzer
Langsam fährt der Wagen die lange Straße entlang. Es hat in der letzten Woche sehr stark geschneit, aber die Straßen sind frei. An einigen Stellen sind sie vereist. Aber nicht nur darum fährt Pa sehr langsam und vorsichtig.
Gerade lassen wir ein Haus hinter uns, aus dessen Vorgarten uns die lebensgroße Figur eines Rentiers entgegenstrahlt. Das Ding ist aus Plastik und seine runde Nase blinkt knallrot. Ich seufze schwer und lehne den Kopf an die kalte Autoscheibe.
Meine Aufmerksamkeit fällt auf den nächsten Garten. Besser gesagt, auf die riesige Tanne, die vor dem großen Haus steht. Sie ist mindestens vier Meter hoch und von der Spitze bis zum Stamm mit tausenden Lämpchen geschmückt. Die Lichter strahlen hell. Der Anblick des stolzen Baumes weckt sofort feierliche und weihnachtliche Gefühle in mir.
»Hat Karl den Baum geschmückt?«, frage ich Pa.
»Ja, das macht er jedes Jahr«, murmelt Pa und klingt dabei leicht abwesend. Er nimmt den Fuß vom Gas. Wir werden langsamer. In Schrittgeschwindigkeit rollen wir auf das Haus zu.
Der Garten kommt näher. Er liegt verschneit und ruhig in der Dunkelheit. Hinter den Fenstern brennen Lichter. Hin und wieder sind Schatten zu sehen. Autos parken vor der Garage. Inzwischen kann ich deutlich die Eingangstür sehen. Ein hübscher, runder Kranz, aus Tannenzweigen, geschmückt mit roten Schleifen und goldenen Sternen, hängt an der Tür.
Und dann verschwindet er aus meinem Blickfeld und auch der Eingang verschwindet… die Garage… die Auffahrt… das Haus… Ich seufze wieder und verdrehe die Augen.
»Pa…«
Er antwortet nicht. Stumm tritt er auf das Gaspedal und wir fahren die lange Straße entlang. Weg von unserem Haus. Ich drehe den Kopf und sehe Pa an.
»Halt den Mund!«, faucht er aufgebracht und wirft mir einen finsteren Blick zu. Er weiß, was ich sagen will. Ist ja schließlich das fünfte Mal…
Mit hochgezogenen Augenbrauen verschränke ich die Arme vor der Brust. Bitte, wenn es ihm Spaß macht. Ich habe Zeit.
Er biegt an der nächsten Straßenkreuzung rechts ab. Und dann wenige Meter weiter wieder rechts. Wieder setzt Pa den Blinker. Wieder fahren wir an dem hässlichen Rentier vorbei.
Ich winke ihm.
»Bis gleich, Rudolph«, rufe ich durch die geschlossene Autoscheibe.
»Du bist wirklich eine große Hilfe«, blafft mich Pa wütend an. »Musst du dich ständig über mich lustig machen?«
»Mache ich doch gar nicht«, verteidige ich mich schroff. »Es gibt ja schließlich nichts, über das ich mich lustig machen könnte. Außer natürlich, man findet es witzig, dass wir die letzte halbe Stunde im Kreis herumgefahren sind.«
»Tobi«, presst er drohend zwischen den Zähnen hervor. Wir fahren auf den hohen Baum zu, der in unserem Vorgarten steht. Wieder wird Pa langsamer.
»Hältst du jetzt an?«, frage ich ihn und versuche, sanft und nicht ungeduldig zu klingen.
»Ja«, haucht er und nickt schwach.
»Gut.« Ich seufze leise.
Der Wagen rollt auf die Einfahrt zu. Dann gibt Pa Gas. Wir rauschen an unserem Haus vorbei. Ich schließe die Augen und stöhne laut.
»Wie oft willst du das eigentlich noch machen?«, frage ich ihn.
Er antwortet nicht. Er wirkt angespannt und nervös. Sein Kehlkopf hüpft hektisch auf und ab. Und noch einmal umrunden wir die stille Siedlung, fahren im Kreis und biegen dreimal rechts ab. Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Situation lächerlich oder doch eher bedenklich finden soll.
Pa hat sich endlich dazu durchgerungen, Bettina um ein Gespräch zu bitten. Heute Nachmittag kam er ziemlich nervös von der Arbeit und meinte, jetzt sei der Zeitpunkt gekommen. Er wirkte zwar aufgewühlt, schien jedoch felsenfest von seinem Vorhaben überzeugt zu sein.
Gemeinsam machten wir uns also auf den Weg. Jeder Meter, der uns dem Haus näher brachte, steigerte auch seine Nervosität. Er wurde zunehmend unruhiger. Seine finstere Miene verlor an Entschlossenheit und in seinen Augen spiegelte sich die pure Angst.
»Könnten wir vielleicht mal die Richtung ändern?«, frage ich. »Ein bisschen Abwechslung wäre nicht schlecht. Langsam wird mir nämlich langweilig.«
»Denkst du, das hier macht mir Spaß, oder was?«, faucht er und seine Hände krallen sich am Lenkrad fest.
»Scheinbar schon«, blaffe ich zurück.
Er beißt die Zähne zusammen. »Das ist verdammt schwer für mich…«, presst er hervor. In seinem Gesicht spiegelt sich seine Unsicherheit. Nervös fährt er sich mit der rechten Hand über die
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