Chaosprinz Band 2
und einem breiten Grinsen auf den Lippen in die Eingangshalle geschlendert.
»Hey, Kümmelchen«, begrüßt sie mich und küsst meine Wange.
»Hallo, Ma…« Ich lasse mich von ihr umarmen. Als sie sich wieder von mir löst, fällt mein Blick auf ihr langes, kunterbuntes Seidenkleid, die vielen, klirrenden und klappernden Perlenketten und die Muschelohrringe.
»Du siehst ja unglaublich… toll aus…« Ich grinse breit.
»Danke«, meint sie strahlend und dreht sich einmal im Kreis, damit ich sie von allen Seiten bewundern kann. Ihre Ketten und Armreife klirren laut. »Eine feine Abendgarderobe war erwünscht.« Sie nickt und zieht vielsagend eine Augenbraue nach oben.
»Menschen sind doch so engstirnig«, fügt sie milde lächelnd hinzu. »Sie kommen einfach nicht auf den Gedanken, dass feine Abendgarderobe nicht für jeden dasselbe bedeutet. Ob jemand etwas als fein empfindet, hängt doch immer von den persönlichen Ansichten und natürlich dem jeweiligen Kulturkreis ab. Aber diese Menschen sind so selbstbezogen, dass sie denken, die ganze Welt müsste sich ihnen unterordnen. Sie glauben, ihre Empfindungen und Meinungen von Kultur und Gesellschaft seien der Standard der Welt. Albern. Wenn wir in Afrika wären, könnte der Begriff feine Abendgarderobe bedeuten, dass wir alle nackt und mit wilden Kriegsbemalungen um ein Lagerfeuer herumhüpfen.«
Ich muss lachen. »Da können die Pohlmanns ja froh sein, dass du überhaupt etwas anhast«, sage ich fröhlich.
»Richtig.« Ma nickt. »Kurz habe ich überlegt, ob ich im Baströckchen kommen soll, aber Bettina hat mich angefleht, es nicht zu tun.«
Pa schüttelt den Kopf. »Du bist unmöglich, Anna.«
»Und du bist ein Feigling, Joachim. Oder warum bist du jetzt schon wieder auf der Flucht?«
Emma hebt ihren kleinen Kopf und sieht Pa fragend an. »Daddy, willst du nicht hier bleiben?« Sie klingt traurig und ängstlich. »Es gibt Kuchen und Gummibären.«
Der flehende Blick seiner Tochter rührt Pa sehr. Er streichelt ihr zärtlich über das blonde Engelshaar und seufzt leise.
»Hast du gehört?« Ich stoße Pa meinen Ellenbogen in die Rippen. »Gummibären. Na, wenn das kein Grund ist, um zu bleiben.«
»Ja, lecker«, zischt Pa und wirft mir einen bissigen Blick zu.
»Na dann.« Ma klatscht begeistert in die Hände. »Auf zu den Gummibären.«
Pa, Emma und ich folgen ihr ins Wohnzimmer. Der große Raum ist kaum wiederzuerkennen. Alle Möbel, die bequeme Couch, die breiten Sessel und der gläserne Tisch, sind aus dem Zimmer, beziehungsweise zur Seite geräumt worden. Entstanden ist eine freie Fläche. Der Platz eignet sich hervorragend für Tanzstunden im kleinen Kreis. Nur, dass der Kreis gar nicht so klein ist.
Als Martha von den alten Pohlmanns und ein paar Verwandten und Freunden gesprochen hat, habe ich angenommen, eine Handvoll Rentner würde schlurfend und schunkelnd durch das Wohnzimmer tanzen, doch ich habe mich getäuscht.
Der Raum ist leicht abgedunkelt. Nur die hübschen Stehlampen verbreiten ihr gemütliches Licht und schaffen eine entspannte Atmosphäre. Ein niedriges Regal ist zu einem kleinen Buffet umfunktioniert worden und der gläserne Servierwagen dient als fahrbare Bar.
Auf den an die Wände geschobenen Sofas sitzen Leute und unterhalten sich leise. Andere genießen Marthas Köstlichkeiten und stopfen sich die Münder mit Häppchen und Gebäck voll. Und der Rest tanzt in langsamen Bewegungen über das Parkett.
Es sind mindestens 40 Menschen in diesem Wohnzimmer versammelt, eher mehr. Die meisten scheinen in derselben engstirnigen Welt zu leben wie Erwin und Lydia Pohlmann. Überall sieht man Damen in eleganten Abendkleidern und Herren mit Krawatten und Fliegen.
Unser Eintreten ist noch nicht bemerkt worden. Pa stöhnt leise. Er sieht ungesund blass aus. Jetzt, da ich hier neben ihm stehe und das gesamte Ausmaß dieser Veranstaltung begreife, bin ich auf einmal auch der Meinung, dass ein Rückzug keine so schlechte Idee ist. Doch dazu haben wir keine Gelegenheit mehr.
»Komm, Daddy«, ruft Emma und greift nach Pas Hand. »Essen.«
Ich glaube, Pas Gesichtsausdruck nach zu urteilen, ist er im Moment zur Nahrungsaufnahme nicht fähig. Er sieht so aus, als würde er stattdessen überlegen, ob es noch bis zum nächsten Badezimmer reicht, oder ob er sich doch lieber sofort und auf der Stelle übergeben sollte.
Am anderen Ende des Raumes, ganz in der Nähe des Buffets, stehen Bettina, Maria, Timmy, Elena und Alex. Sie unterhalten sich
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