Chaosprinz Band 2
auch.« Er grinst.
Schnaubend versuche ich, so unauffällig wie möglich meine Frisur in Ordnung zu bringen.
»Besser?«, hauche ich unsicher.
»Nein.«
Ich verdrehe die Augen und presse die Lippen zusammen.
Und dann… endlich… kann ich ihn sehen, den ICE. Weiß glänzt er unter dem hellen Sonnenlicht. Seine Schnauze erinnert an den Kopf einer riesigen Schlange. Schnell und zischend schlängelt er sich die eisernen Gleise entlang.
Pa sagt etwas zu den Kindern. Die Kleinen rufen. Bettina geht an mir vorbei. Die anderen folgen ihr. Tom greift nach meinem Unterarm und zieht mich mit sich. Meine Beine fühlen sich hölzern an. Ich kann mich kaum bewegen. Dieses wahnsinnige Klopfen in meiner Brust stört meine Wahrnehmung. Ich zittere. Mir ist heiß.
Ein Quietschen, ein Zischen, ein kreischendes Aufjaulen, dann kommt der Zug zum Stehen.
Menschen steigen aus. Sie schleppen Koffer und Taschen mit sich, schauen sich suchend um oder hasten sofort weiter, um ihre Anschlusszüge noch zu erwischen. Es herrscht das übliche Durcheinander.
Ich sehe alles wie durch einen Nebelschleier. Mein Puls rast und mir ist schwindelig. Ich suche unter den zahlreichen, fremden Gesichtern zwei vertraute und finde sie nicht.
Dann höre ich Tom neben mir. Er ruft irgendetwas und winkt mit dem ausgestreckten Arm. Zitternd folge ich seinem Blick. Ein Mädchen mit langem, blondem Haar steigt gerade aus einer der geöffneten Türen ganz in unserer Nähe.
Sie trägt einen knallpinken Koffer in der linken Hand und umklammert mit der rechten ihre große, bauchige Handtasche. Die schwarze Chanel-Sonnenbrille sitzt auf ihrem seidigen, hellen Haar.
Sie hat Toms Rufen gehört, hebt überrascht den Kopf und schaut sich suchend um. Dann entdeckt sie uns. Maria lächelt und winkt. Wir stürmen eilig auf sie zu. Sie stellt den Koffer auf den Bahnsteig und kommt uns mit ausgestreckten Armen entgegen.
Bettina erreicht sie als erstes. Fest drückt sie ihre Tochter an die Brust. Küsst ihre Wange und streichelt ihr immer wieder über den Hinterkopf. Die Zwillinge umklammern ihre Hüften und Pa küsst ihre Stirn.
Ich bin stehen geblieben. Mein Blick ist immer noch auf die geöffnete Zugtür gerichtet. Alex steigt aus. Langsam und vorsichtig hievt er zwei riesige Koffer aus dem ICE. Er ist so groß wie immer. So schlank. Seine Hüften sind schmal, seine Schultern wohlgeformt und sein Rücken breit.
Die langen Beine stecken in engen, dunklen Jeans. Er trägt ein schwarzes Hemd, dessen Ärmel bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt sind. Die ersten drei Knöpfe des Hemdes sind geöffnet. Eine moderne, schwarze Sonnenbrille verdeckt seine grauen Augen. Als er sich vorbeugt und die schweren Koffer auf dem Bahnsteig abstellt, fallen ihm seidige Haarsträhnen ins Gesicht. Seine blonden Haare sind noch länger geworden. Sie reichen ihm beinahe bis zum Kinn.
Er dreht den Kopf, schaut in unsere Richtung. Er sieht mich an. Die schwarze Brille macht einen Blickkontakt unmöglich, doch ich bin mir auch so vollkommen sicher, dass er mich ansieht. Heißes Blut schießt mir in die Wangen.
Marias hübsches Gesicht schiebt sich in mein Blickfeld.
»Willst du mich denn gar nicht begrüßen?«, fragt sie vorwurfsvoll.
»Was?«, krächze ich verwirrt. »Oh… natürlich, doch… Hallo…« Ziemlich schwach, ich weiß, aber in meinem Kopf tanzt gerade das Testosteron Tango mit meinen Gefühlen. Ich nehme sie in den Arm.
»Maria, schön, dass du wieder da bist«, sagt Tom fröhlich und küsst ihre Wange. »Aber warum hast du denn Alex mitgebracht, das verstehe ich jetzt nicht. Wir waren doch alle so froh, ihn endlich los zu sein, nicht wahr, Tobi?« Er grinst mich an.
Alex, der mittlerweile in unserer Hörweite ist, verzieht die schönen Lippen zu einem spöttischen Lächeln.
»Tja, was sollte ich denn machen?«, fragt Maria achselzuckend. »In den Staaten wollte ihn auch niemand haben. Sie haben sogar mit der deutschen Botschaft telefoniert und mit Ausweisung gedroht.«
»Seid nicht so fies«, schimpft Bettina lächelnd und schließt Alex fest in die Arme.
Er küsst seine Mutter, flüstert ihr ein paar leise Worte ins Ohr und wischt ihr schließlich die Freudentränen aus den Augenwinkeln. Als er sich bückt, um die Zwillinge zu begrüßen, nimmt er die Sonnenbrille ab und endlich kann ich seine funkelnden grauen Augen sehen. Pa umarmt ihn liebevoll und tätschelt seinen Hinterkopf.
Die Zwillinge wollen ihren großen Bruder am liebsten gar nicht mehr loslassen.
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