Chaosprinz Band 2
Stimme.
»Du hast mich angelogen. Dein erstes Mal war nicht mit irgendeinem Kellner auf Janoschs und Uwes Party.« Er ist wütend.
»Dann war es eben eine andere Party…«, meine ich schwach.
»Hör auf, mich anzulügen.«
»Oder du hast mich falsch verstanden. Vielleicht habe ich es auch verwechselt…« Ich bin zu aufgebracht, um mich richtig verteidigen zu können.
»Spar dir diese albernen Ausreden. Hältst du mich für einen Idioten, den du so einfach verarschen und für dumm verkaufen kannst?« Zornig starrt er mich an.
»Kim, das ist doch auch scheißegal…« Stöhnend fahre ich mir mit den Fingern durch die Haare. »Ich habe jetzt keinen Nerv, um mit dir darüber zu diskutieren. Ich hatte einen schlimmen Streit mit Marc. Ich bin wirklich durcheinander. Lass uns gehen.«
Ohne auf eine Antwort zu warten, öffne ich die Haustür und eile hinaus in den kalten Regen. Kim folgt mir mit großen Schritten. Er greift nach meiner Schulter und dreht mich ruckartig zu sich herum.
»Ich will aber jetzt darüber sprechen«, sagt er. Seine starken Hände lassen mich nicht los, verhindern eine Flucht.
»Ich verstehe dein Problem nicht«, fauche ich abweisend. »Das hat doch alles nichts mit dir zu tun.«
»Scheinbar aber schon. Wenn ich dich so direkt nach etwas frage und eine absolut bewusst gewählte Lüge aufgetischt bekomme, dann muss ich doch davon ausgehen, dass ich die Wahrheit nicht erfahren soll.«
»Du bist paranoid.« Ich will mich aus seinem Griff lösen, doch er lässt mich nicht gehen.
So fest ich kann, stemme ich mich gegen seine Brust, stoße ihn von mir. Mit schnellen Schritten gehe ich in Richtung der nächsten Bushaltestelle.
»Ich will darüber reden«, ruft Kim und eilt mir hinterher.
»Das können wir auch, aber nicht hier und nicht jetzt. Ich kann nicht mehr.« Erschöpft fahre ich mir durchs Haar.
»Und was soll das jetzt werden?«, fragt Kim laut.
»Ich fahre nach Hause.«
»Mit dem Bus?«
»Ja.«
»Du willst mich einfach so stehenlassen?« Anklagend sieht er mich an.
Ich erwidere seinen Blick. »Ich will allein sein…«
Einen kurzen Augenblick lang stehen wir einander gegenüber und sehen uns in die Augen. Dann dreht er sich um und geht. Ich schaue ihm nach.
***
Als ich zu Hause ankomme, bin ich vollkommen durchnässt. Habe ich mich jemals so mies gefühlt? In meinem Kopf wackelt und schwabbelt ein riesengroßer, breiiger Haufen, bestehend aus Gedanken und Gefühlen. Ein heilloses Durcheinander ohne Anfang und ohne Ende. Ich bin nicht in der Lage, das Wirrwarr zu entknoten.
Aus dem Wohnzimmer dringen verschiedene Geräusche. Pa und Bettina schauen wohl gerade fern. In der Küche klappert Martha mit dem Geschirr und als ich langsam und vorsichtig die Stufen nach oben steige, kann ich Emma und Timmy in ihrem Schlafzimmer kreischen hören. Elenas sanfte Stimme fordert die Zwillinge auf, endlich in die Betten zu krabbeln.
Auf Zehenspitzen tapse ich durch den Flur des ersten Stockwerks und schleiche zur nächsten Treppe. Im zweiten Stock ertönt der quäkende Gesang Rihanna s aus Marias Zimmer. Hin und wieder ist auch Maria zu hören, die mit hoher Stimme einige Zeilen des Songs mitsingt.
Ich gehe den Flur entlang. Der weiche Teppichboden schluckt meine Schritte. Wie auf Samtpfötchen trippele ich an Alex' Zimmertür vorbei. Von ihm ist nichts zu hören.
»Was machst du denn schon wieder hier?«
Vor lauter Schreck hüpft mir beinahe mein armes Herzchen aus der Brust. Hektisch atmend drehe ich mich um.
»Das war ja so was von klar…«, stöhne ich und starre Alex finster an.
»Es ist noch nicht einmal neun Uhr. Warum bist du schon so früh zurück?« Seine grauen Augen huschen in Sekundenschnelle über meinen Körper. Sie erfassen alles. Von den feuchten Kleidern, bis zu den nassen Haaren und dem düsteren Gesichtsausdruck.
»Was ist passiert? Du bist total durchweicht.«
Ich beiße mir auf die Unterlippe und hülle mich in finsteres Schweigen.
»Streit mit Kim?«
Ich sehe ihn an. Das Gesicht. So vertraut… so oft betrachtet und berührt, im Traum und in der Realität…
Die Lippen – sanfter Kuss.
Die Nase – wohliger Geruch.
Die Augenbrauen – tiefe Gedanken.
Die Augen – so viel Gefühl.
Oh, Alex…
Der Wunsch, mich in seine Arme zu flüchten, ist so überwältigend. Ich will ihn halten und will, dass er mich hält. Diese Sehnsucht…
»Ich kann nicht… Ich kann dich gerade nicht sehen…«, sage ich schnell, drehe mich auf der Stelle um und eile den
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