Chaosprinz Band 2
Wahrscheinlich gibt es für diese Katastrophe gar keine Gelegenheit mehr. Zumindest nicht, wenn mir nicht ganz plötzlich eine extrem gute Erklärung für meine Lüge einfällt.
***
Regen. Seit Tagen schon dieser dumme Regen. Herbstwetter. Ich habe mir die Kapuze meiner Jacke tief ins Gesicht gezogen. Mit großen Schritten eile ich die Straße entlang, weiche den Pfützen genauso eilig aus, wie den entgegenkommenden Fußgängern.
Ich bin auf dem Weg zum Buchladen. Warum? Keine Ahnung. Ich weiß nicht, was ich da soll. Ludwig wird mir nichts Neues erzählen können. Er weiß bestimmt nicht, warum Marc Manu verlassen hat. Marc wird seinem Vater nur das Nötigste erzählt haben, damit sich dieser nicht zu sehr sorgt. Was Schwachsinn ist, Ludwig sorgt sich so oder so um Marc.
Vielleicht will ich auch herausfinden, ob Marc etwas über mich gesagt hat, über unseren Streit. Aber auch das glaube ich nicht wirklich. Ach, ich muss einfach nur irgendetwas tun. Ich kann Marc und Manu nicht aus meinen Gedanken verdrängen. Und auch meine quälenden Schuldgefühle nicht.
Vielleicht erhoffe ich mir, dass mir Ludwig ein bisschen was von meiner Schuld und meiner Scham nehmen kann. Seine lieben Worte tun immer gut. Außerdem bin ich noch ziemlich aufgewühlt von dem Gespräch mit Kim.
Wie vereinbart hat er mich nach der Schule abgeholt und wir haben in einem ruhigen, gemütlichen Café eine Kleinigkeit gegessen und getrunken. Geredet haben wir natürlich auch.
Erstmal hat er geredet. Eine ganze Weile. Er hat mir ziemlich detailliert beschrieben, warum er sich so aufgeregt und was ihn so sehr an meinem Verhalten gestört hat.
Dann hat er immer wieder betont, dass er mich sehr, sehr mag und gerade deshalb auch extrem auf solche Sachen reagiert. Er sagte, er will keinen Streit, er will eine ehrliche Beziehung.
Er hat noch eine ganze Menge mehr gesagt. Viel mehr. Ich hab's dann irgendwann verwirrend gefunden und konnte ihm nicht mehr so richtig folgen. Ein bisschen habe ich mich auch überfordert gefühlt. Ein bisschen sehr. Aber ich habe nicht so recht gewusst, wie ich ihm das beibringen sollte, und ich wollte auch nicht noch mehr diskutieren, darum habe ich es sein lassen.
Jetzt denke ich, dass es vielleicht ein Fehler gewesen ist. Ich hätte ihm klarmachen müssen, dass ich nicht bereit bin, für alles die Verantwortung zu übernehmen und dass er sich gestern Abend ebenfalls unmöglich aufgeführt hat, ohne zu wissen, was überhaupt los gewesen ist und ohne auf meine Gefühle Rücksicht zu nehmen. Doch ich habe mich nicht getraut. Vielleicht ist es aber auch wieder mein schlechtes Gewissen gewesen.
Also habe ich nichts gesagt. Hab mich nur entschuldigt und meine Erklärung abgegeben. Die Geschichte, die ich mir mit Alex' Hilfe ausgedacht habe, ist wenig glorreich gewesen. Ich habe von einer Partynacht im Zorro erzählt, von Alkohol und schnellem Sex im Darkroom. Mein Bericht ist etwas verworren und sehr schlecht vorgetragen gewesen, aber was soll's – Kim hat mir geglaubt. Geglaubt und verziehen.
Er hat natürlich gemeint, ich hätte ihm sofort die Wahrheit sagen sollen und es sei überhaupt nicht schlimm, wenn ein achtzehnjähriger, schwuler Junge in einen Club geht und dort in dem Darkroom ein bisschen was ausprobiert. Am Ende unserer Verabredung ist er wieder versöhnt und ich erleichtert gewesen. Nicht ganz so sehr, wie ich erwartet habe, aber das liegt wahrscheinlich einfach an dieser Marc-Sache, die mir ständig im Kopf rumschwirrt.
Wir haben dann angefangen, über andere Dinge zu sprechen. Über das Wetter, seine Party am Samstag, Dacher, die Schule, seinen Job und das gestrige Abendessen. Ich habe ihm von Marc und Manu und von meinem Gespräch mit Bettina und Pa erzählt.
Kim ist ganz begeistert gewesen, als er von Marias Unterstützung bezüglich seiner Person erfahren hat und hat gemeint, er müsste meine Eltern doch bald mal kennenlernen.
Außerdem hat er gefragt, ob wir nicht demnächst für ein Wochenende nach Hamburg fahren wollen. Natürlich habe ich gesagt, dass ich mich sehr darüber freuen würde. Stimmt ja auch.
Es ist also doch noch ein schöner Nachmittag gewesen. Zum Abschied haben wir uns wie immer geküsst. Ein sehr süßer Kuss. Weich und lieb. Versöhnungskuss.
Mit schnellen Schritten eile ich auf den Laden zu. Beeilung, ich will ins Trockene! Das helle Glöckchen ertönt, als ich die Tür aufstoße und mich erst einmal schüttle, um Kälte und Feuchtigkeit
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