Chaosprinz Band 2
erst, wie sehr ich sie vermisse, wenn ich mit ihr spreche… Dann bekomme ich plötzlich Heimweh. Nicht Heimweh nach Hamburg, sondern Heimweh nach Ma.
»Wie geht es dir, mein Tobilein?«, fragt Ma fröhlich. Sie ist fast immer fröhlich. Ich habe sie nur sehr selten wütend erlebt. Wenn, dann war sie eher bockig oder stur, aber richtig sauer fast nie.
Und weinend? Hm, sie hat gerne mal mit Tränen gespielt, meistens wenn sie etwas Bestimmtes erreichen wollte. Ich habe aber keine Erinnerung an einen Moment, in dem sie wirklich traurig gewesen ist. Eigentlich sehe ich jedes Mal, wenn ich an Ma denke, eine fröhliche und ausgelassene Frau vor mir, mit langen rotblonden Haaren und strahlend grünen Augen.
»Mir geht es gut… sehr gut!« Das sage ich immer, wenn wir miteinander telefonieren. Es ist zwar nur selten die Wahrheit, aber wenn Mütter solche Fragen stellen, dann muss man schon mal lügen. Sie machen sich sonst viel zu viele Sorgen. »Und wie geht es dir und Gordon?«
»Hm, gut… ja, ganz gut. Gordon ist nur immer mit seinen dämlichen Fliegen beschäftigt und hat kaum Zeit für andere Dinge.« Sie seufzt wieder. »Er muss herausfinden, wann sie ihre Eier legen und wie lange es dauert, bis die Babyfliegen schlüpfen…«
»Babyfliegen?« Der Begriff bringt mich zum Schmunzeln.
»Ja, die Babys von den Fliegen… in den Eiern… die dann schlüpfen…«, erklärt mir Ma ungeduldig.
»Ich weiß, was Babyfliegen sind«, sage ich schnell.
»Wieso fragst du dann?«
Ich verdrehe die Augen, was Ma Gott sei Dank nicht sehen kann.
Mittlerweile hat die Kassiererin, eine junge Frau Anfang zwanzig, der man sehr deutlich ansieht, wie sehr sie ihren Job verabscheut, damit angefangen, unsere Sachen über den Scanner zu ziehen, was jedes Mal einen piependen Ton zur Folge hat. Kim wirft unsere Einkäufe in den Wagen und ich helfe ihm dabei.
»Naja, er ist heute Morgen mit einem Kollegen weggeflogen. Sie benutzen immer so ein winziges Klapperflugzeug, du weißt schon, so ein Teil mit Propeller, in dem nicht mehr als drei Leute Platz finden… total schrecklich, ich hoffe jedes Mal, dass ich ihn lebend wiedersehe.«
»Oh Gott…« Ich kann ihre Besorgnis absolut nachvollziehen.
»Ja, lustig ist das nicht«, meint Ma ernst. »Und dann haben wir im Moment auch noch eine furchtbare Mückenplage. Du kannst dir nicht vorstellen, wie nervend es sein kann, wenn dir ständig diese riesigen, summenden Viecher um den Kopf schwirren. Ach, und heute Morgen hatte ich zwei überdimensionale Heuschrecken im Haus und das trotz Moskitogitter vor den Türen und Fenstern. Ich bin den gesamten Vormittag damit beschäftigt gewesen, die Dinger einzufangen.«
Ich muss grinsen.
»War nicht lustig«, sagt Ma, als würde sie wissen, was ich gerade denke.
»Nee, schon klar«, stimme ich ihr schnell zu. »Klingt ja fast so, als hättest du schon genug von Afrika.«
»Was?« Sie klingt entsetzt, zumindest tut sie so. »Wie kommst du darauf, ich liebe das Leben hier. Es ist so anders als in Deutschland. Plötzlich erkennst du, worauf es im Leben wirklich ankommt, und lernst viele Dinge besser zu schätzen…«
»Wie zum Beispiel McDonald's und Klopapier…«, werfe ich frech ein.
»Ich dachte eher an Gesundheit und eine Schulbildung«, tadelt mich Ma. Ich mache ein schuldbewusstes Gesicht – was Ma natürlich wieder nicht sehen kann.
Kim zahlt. Die genervte Verkäuferin drückt ihm das Wechselgeld in die Hand und Kim verstaut es in seinem Geldbeutel. Ich lächle ihn an, forme mit dem Mund das Wort Mutter und deute auf das Handy an meinem Ohr. Kim nickt verstehend. Er schiebt den Wagen Richtung Ausgang und ich folge ihm.
»Wo bist du eigentlich?«, fragt Ma plötzlich.
»Ich bin mit Kim unterwegs.«
»Oh là là«, schnurrt Ma frech. »Dann störe ich wohl…« Sie kichert.
»Ma, wir sind in einem Supermarkt«, erwidere ich stöhnend.
»Ihr treibt's in einem Supermarkt?«, fragt sie überrascht.
»Was? Nein!« Entsetzt schüttle ich den Kopf. »Wer hat denn was von treiben gesagt?« Den letzten Teil des Satzes flüstere ich.
Besorgt werfe ich einen Seitenblick auf Kim. Hat er was gehört? Mann, wäre das peinlich! Aber die allgemeine Geräuschkulisse ist dermaßen laut, dass er von meinem Getuschel nichts mitbekommen hat.
»Hätte doch sein können«, verteidigt sich Ma etwas beleidigt. »Ihr seid noch jung, da probiert man so einiges aus.«
»Ma, bitte«, seufze ich gequält.
»Du weißt ja, wie wichtig Sex für eine gute
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