Chaosprinz Band 2
Wohl kaum.
»Echt? Ich auch.« Ich verfluche mich.
Anja sieht Kim an. Scheinbar wartet sie darauf, dass ich ihn ihr vorstelle. Anja weiß ja nicht, dass ich schwul bin, und sie soll es auch nicht wissen. Sie soll es nicht wissen? Warum eigentlich nicht?
»Anja, das ist mein Freund Kim«, sage ich. Ein seltsamer Mutschub fließt durch meine Adern. Entstanden ist er in meinem Bauch und wie eine große Welle hat er sich in meinem gesamten Körper ausgebreitet. Fühlt sich sehr stark an. Ich stelle mich neben Kim und lege ihm einen Arm um die Hüften. Er sieht mich etwas überrascht an, lächelt dann aber glücklich.
Wir können zusehen, wie es in Anjas Hirn nach und nach klappert, klirrt und sich die Rädchen zu drehen beginnen. Ihr Gesicht ist das reinste Spiegelbild ihrer Gedanken. Erst nickt sie Kim höflich zu, dann können wir erkennen, wie sie meine Worte mit meiner Umarmung verbindet… und schließlich zu der sensationellen Erkenntnis kommt.
Ihre Augen weiten sich und langsam klappt ihr Mund auf. Sie starrt uns an wie ein Karpfen auf dem Trocknen. Ich muss mir das Lachen verkneifen. Ich denke, es wird noch eine kleine Weile dauern, bis Anja uns wieder mit inhaltlich wertvollen Sätzen beglücken kann, darum übernehme ich das Reden.
»Kim und ich kennen uns aus Hamburg und er ist gerade nach München gezogen. Wir kaufen für seine Einweihungsparty ein, nicht wahr, Schatz?« Ich lehne mich etwas an Kim und grinse ihn an.
»Ja.« Er nickt.
»Aha…«, macht Anja wieder.
»Anja ist Alex' Freundin«, erzähle ich Kim noch einmal.
»Ich habe deinen Freund auch zu der Party heute Abend eingeladen. Du kannst natürlich gerne mitkommen«, meint Kim freundlich. Ich sehe ihn erschrocken an. Was soll das? Das ist definitiv zu viel der Höflichkeiten. Ich will sie nicht dabei haben, auf gar keinen Fall!
»Schatz, Alex wusste doch noch gar nicht, ob er kommt. Ich denke, er hat etwas anderes vor…«, erwidere ich schnell und werfe Kim einen warnenden Blick zu.
»Ach so…«, meint Kim leise.
»Ich hätte so oder so keine Zeit«, meldet sich nun Anja zu Wort. »Meine Cousine feiert heute ihren Junggesellinnenabschied. Darum sind wir auch hier.« Sie deutet auf ihre Freundin, die immer noch bei den T-Shirts steht. »Wir müssen noch ein paar Sachen für die Feier besorgen.«
Ich zwinge mich zu einem freundlichen Lächeln. »Na dann sehen wir uns am Montag.«
»Ja.« Sie nickt.
»Tschau«, sagt Kim und lächelt charmant.
Anja dreht sich um und geht. Ich ziehe Kim samt Einkaufswagen hinter mir her.
»Oh Gott, das war grausam.« Übertrieben erleichtert lasse ich die Luft aus den Lungen entweichen und wische mir den nicht vorhandenen Schweiß von der Stirn.
»Hast du ein Problem mit ihr?«, fragt mich Kim.
»Nein… also nicht so richtig… irgendwie schon.« Ich seufze. »Ich kann sie nicht ausstehen.«
»Warum nicht?«
»Ich… keine Ahnung, ich mag sie halt nicht…« Ich zucke mit den Schultern. »Sie hat über meine Haare gelästert.«
»Was?« Kim tut entsetzt. »Über deine Haare? Warum hast du mir das nicht früher gesagt, ich hätte sie zum Duell gefordert.«
»Haha.« Ich kneife ihm in die Seite.
Nun, etwas Gutes hat diese Begegnung gehabt. Anja weiß nun, dass ich schwul bin. Und wenn Anja das weiß, dann weiß es spätestens in zwölf Stunden auch der Rest der Jahrgangsstufe. Sie übernimmt also praktisch mein Outing für mich.
Ein entspanntes Grinsen stiehlt sich auf meine Lippen. Zufrieden strecke ich Kim meine Hand entgegen, die er auch sofort freudig ergreift. Hand in Hand schlendern wir die Gänge entlang auf dem Weg zu den Kassen. Doch ich lasse ihn recht schnell wieder los, denn es stellt sich heraus, dass Kim den Einkaufswagen mit einer Hand noch viel weniger unter Kontrolle hat als mit zwei.
Die Schlangen an den Kassen sind erschreckend lang. Wir stellen uns an und müssen warten. Gerade haben wir unsere Einkäufe auf das Band gelegt, als mein Handy klingelt. Ich hole es eilig aus meiner Hosentasche.
»Ja?«
»Tobi? Hier ist Ma.«
Mein Herz macht einen Salto, einen riesigen Salto. Es springt in die Höhe, überschlägt sich mit voller Wucht und dreht sich vollkommen beduselt vor Freude noch ein paar Mal im Kreis.
Allein ihre Stimme zu hören… Ein bisschen wird sie durch das Telefon verzerrt, klingt anders als sonst, dennoch ist es ihre Stimme.
»Hallo, Ma.« Meine Stimme zittert vor Freude. Wir haben eine ganze Woche lang nicht mehr miteinander telefoniert. Ich merke immer
Weitere Kostenlose Bücher