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Charles Dickens

Charles Dickens

Titel: Charles Dickens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Dieter Gelfert
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Hungerford Stairs spüren, deren Beschreibung in nur geringfügig veränderter Form in
David Copperfield
in Gestalt von Murdstone & Grinby’s Lagerhaus wiederkehrte. Nachdem Dickens dort aus der Schuhwichsfabrik eine Weinhandlung gemacht hatte, wirkt Wildings Haus jetzt wie eine Wiederaufnahme des Motivs, wobei das Gefängnishafte nun ganz durch die Erbschaftsproblematik ersetzt ist.
    Die Erzählung kam am 12. Dezember als Weihnachtsnummer von
All the Year Round
heraus und hatte enormen Erfolg. Schon vorher hatte Collins, zeitweilig beraten von Charles Fechter, eine dramatisierte Fassung erstellt, die am 26. Dezember im Adelphi-Theater uraufgeführt wurde und dort 151 Wiederholungen erlebte. Auch in Paris war das Stück erfolgreich und fand, sonderbarerweise in einer Übersetzung der französischen Fassung, auch den Weg nach New York. Danach verschwand es aus den Spielplänen. Dass das Interesse an Handlungen mit unwahrscheinlichen Zufällen nachließ, ist verständlich; denn die neue Form des Detektivromans, die auf dem Prinzip der logischen Analyse eines Kriminalfalls beruht, funktioniert genau andersherum. Die Kunst des Detektivs besteht gerade darin, im Nichtzusammenhängenden den entscheidenden Zusammenhang zu entdecken. Seine Leistung wird wertlos, wenn ihm unwahrscheinliche Koinzidenzen dabei in die Hände spielen. In Dickens’ obsessivem Denkschema geht es aber nicht um bloße Aufklärung eines verborgenen Zusammenhangs, sondern um Emanzipation von Fremdbestimmung. Deshalb waren für ihn solche Koinzidenzen Schicksalsfäden, in die die Menschen ahnungslos verstrickt sind, so wie er selber bis zuletzt die Fäden spürte, die ihn an sein eigenes Kindheitstrauma in der Schuhwichsfabrik fesselten.

Lesetour
in Amerika
November 1867 bis April 1868
    Am 2. November 1867 gaben Freunde und Verehrer dem Dichter ein Abschiedsessen im Bankettsaal des Londoner Freimaurerhauses in Anwesenheit von 450 geladenen Gästen. Forster hatte vergeblich versucht, dem Freund die strapaziöse Reise auszureden. Nicht einmal die Trennung von Nelly hielt ihn davon ab. Allerdings hatte er bis zuletzt nach einem Vorwand gesucht sie mitzunehmen. Da sie einen Cousin nördlich von Boston hatte, wäre ein Verwandtenbesuch ein unverfänglicher Grund für ihre Reise in die USA gewesen, natürlich auf einem anderen Schiff, um jeden Anlass für einen Skandal zu vermeiden. Doch Dolby, der vorausgereist war, um Dickens’ Empfang vorzubereiten, konnte den Cousin offensichtlich nicht ausfindig machen, so dass er das für diesen Fall vereinbarte kryptische «No» telegrafierte. Damit stand fest, dass Dickens am 9. November allein auf der
Cuba
von Liverpool abreisen würde, d.h. nicht ganz allein: denn mit ihm reiste sein dreiköpfiges Team, bestehend aus seinem persönlichen Diener Scott, dem Faktotum Kelly, über dessen ständiges Kränkeln sich Dickens mehrfach beklagte, und dem für die Gasbeleuchtung bei den Lesungen zuständigen
gasman
George Lowndes. Am 19. November trafen sie in Boston ein, wo sie von Dolby und dem Verleger Fields in das Luxushotel Parker House eskortiert wurden. Dickens hatte 12 Ruhetage zur Erholung von der stürmischen Überfahrt eingeplant, doch sein unruhiger Geist trieb ihn schon am ersten Tag an, sich über den Stand des Vorverkaufs der Tickets zu informieren.
    Zwei Tage später gab ihm Fields in seinem Haus einen großen Empfang. Es folgten weitere Treffen mit Honoratioren der Stadt. Dazu zählte vor allem Longfellow, mit dem er seit seinem ersten Besuchfreundschaftlich korrespondierte. Longfellow hatte 1861 durch einen tragischen Unfall seine Frau verloren, als deren Kleider beim Hantieren mit Wachskerzen Feuer fingen, worauf sie am Tag darauf an den Brandwunden starb. Er selber hatte sich beim Versuch zu löschen eigene Brandwunden im Gesicht zugezogen, die er seitdem mit einen Bart verdeckte. Man darf davon ausgehen, dass ein Mensch mit Dickens’ visueller Vorstellungskraft beim Anblick des so veränderten Freundes das Bild der brennenden Frau vor dem inneren Auge hatte, zumal er kurz vorher in seinem Roman
Große Erwartungen
Miss Havisham das gleiche Schicksal hatte erleiden lassen. Nach einem Besuch in Longfellows Haus schrieb er einen Brief an seine Schwägerin, in dem er «den Schatten dieser schrecklichen Geschichte» nur beiläufig erwähnt und statt dessen ausführlich über den Vorverkauf der Tickets, über Empfänge und über die Vorbeugung gegen Seekrankheit berichtet. Aus diesem und ähnlichen

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