Charles Dickens
in seinen Briefen so oft ausdrücklich grüßen lassen wie diesen Sohn, dem er den Kosenamen Plorn gegeben hatte. Noch mehr Sorge machte ihm sein ältester Sohn Charley, der mit seinem Papiermühlenunternehmen Bankrott gegangen war und 1000 Pfund Schulden angehäuft hatte, während er eine Frau und fünf Kinder zu versorgen hatte. Dickens blieb nichts anderes übrig, als ihn bei seiner Zeitschrift anzustellen. Auch um seine Tochter Katey sorgte er sich; denn deren Mann litt an Magenkrebs, was ihn zunehmend arbeitsunfähig machte.
Den ganzen Sommer über bereitete sich Dickens auf die Marathonlesetour vor. Daneben musste er weiteren Verpflichtungen nachkommen. So hatte er einige Zeit Henry Wadsworth Longfellow zu Gast, dem er die Erwiderung der Gastfreundschaft schuldete, die dieser ihm auf der Amerikareise gewährt hatte. Besonders lästig war eine Dankesschuld, zu der ihn sein alter Freund Chauncy Hare Townshend verpflichtet hatte. Der Pfarrer, den er einst als Anhänger des Mesmerismus kennen und schätzen gelernt und dem er später die Buchausgabe von
Great Expectations
gewidmet hatte, war während seiner Amerikatour gestorben und hatte ihm in seinem Testament 1000 Pfund vermacht, verbunden mit der Bitte, aus seinen hinterlassenen Aufzeichnungen zu religiösen Fragen ein Buch zu machen. Dickens nahm die lästige Pflicht auf sich und brachte das von ihm redigierte Buch 1869 unter dem Titel
Religious Opinions
heraus, während er es privat als
religious hiccoughs
(religiöse Schluckaufs) bezeichnete. Inmitten dieser Verpflichtungen, die ihn gleich nach seiner Rückkehr aus Amerika überhäuften, fand er trotzdem noch Zeit für eine Kurzreise nach Paris, wo Charles Fechter die französische Fassung von
No Thoroughfare
unter dem Titel
L’Abîme
(
Der Abgrund
) herausbrachte, auf die er noch in letzter Minute Einfluss nehmen wollte.
Als der Beginn der Lesetour näher rückte und Dickens noch immer keine Idee für die Weihnachtsnummer hatte, beschloss er, ganz auf sie zu verzichten. Stattdessen wollte er seine Zeitschrift ab dem 21. Jahresbandhinsichtlich Größe, Drucktype und Papierqualität neu gestalten, um sie für Käufer noch attraktiver zu machen. Dann begann er am 6. Oktober in London mit den ersten Lesungen, denen innerhalb von drei Monaten 27 weitere in Manchester, Liverpool, Brighton, Edinburg und Glasgow folgten, mit zweimaliger Rückkehr nach London. Am 22. Dezember las er zum dritten Mal in der Hauptstadt. Forster und Wills hatten vergeblich versucht, ihn davon abzubringen, die Mordszene in sein Programm aufzunehmen. Doch Dickens setzte sich durch und las sie versuchsweise zum ersten Mal am 14. November vor einem kleinen, persönlich eingeladenen Publikum in der St. James Hall in London. Die Wirkung war sensationell; und da unter den Gästen auch Journalisten waren, sprach sich die Sensation schnell herum. Von nun an bot er seinem Publikum diese Szene als abschließenden Höhepunkt jeder Lesung und steigerte sich dabei so in die makabre Situation hinein, dass er auf manche Zuhörer den Eindruck machte, als sei er selber der Mörder. Nach jeder Lesung war er völlig erschöpft, in Schweiß gebadet und zitterte am ganzen Leibe.
Trotzdem fand er an freien Tagen zwischen den Lesungen noch Zeit, kurze Beiträge für seine Zeitschrift zu schreiben. 1860 hatte er die Serie von Skizzen unter dem Titel
The Uncommercial Traveller
gestartet, die er danach in stetig erweiterten Sammlungen als Buch in die Gesamtausgaben seiner Werke aufnahm. Jetzt begann er eine neue Serie unter dem Titel
New Uncommercial Samples
. Mit der Ankündigung dieser Serie und dem veränderten Layout der Zeitschrift tröstete er sein Publikum über die fehlende Weihnachtsnummer hinweg.
Nach einer kurzen Weihnachtspause setzte er am 5. Januar 1869 die Lesetour fort. Jetzt ging es nach Belfast und Dublin, dann wieder zurück nach England in die Städte des Südwestens und nach einem Zwischenstopp in London weiter nach Nottingham und Leicester. Um diese Zeit wurde sein altes Fußleiden so schlimm, dass er eine Lesung in London deswegen absagen musste. Kaum erholt machte er weiter und hetzte von Stadt zu Stadt. Dabei geriet er immer mehr in einen Zustand, in dem er auf dem Podium nur durch die Anspannung aufrechtgehalten wurde, während er in den Zeiten dazwischen wie ein gebrochener, hinkender alter Mann wirkte.
Am 10. März 1869 erreichte ihn die Nachricht vom Tode seines alten Freundes Sir James Emerson Tennent, dem er seinen
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