Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Charles Dickens

Charles Dickens

Titel: Charles Dickens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Dieter Gelfert
Vom Netzwerk:
man die moralisierende Peitsche spürt, wird der Hieb durch einen Humor gemildert, der in fast jedem Satz mitschwingt.
    Auch wenn manche der Skizzen – vor allem diejenigen, die als Kurzgeschichten angelegt sind – noch etwas schematisch und konventionell anmuten, ist doch in allen bereits die Handschrift des Meisters zu erkennen. Für die Buchpublikation hatte Dickens die Texte in vier Gruppen zusammengefasst, denen er die folgenden Titel gab:
Unsere Gemeinde
(
Our Parish
),
Szenen, Charaktere
und
Erzählungen
. Da der Begriff
parish
just zu der Zeit eine besondere sozialpolitische Bedeutungerlangt hatte, soll er hier statt des deutschen Wortes ‹Gemeinde› verwendet werden. Die Kirchspiele, also die
parishes,
hatten seit der Auflösung der Klöster durch Heinrich VIII. die Hauptlast der Armenfürsorge zu tragen. In Zeiten der Agrarwirtschaft beschränkte sich diese Fürsorge auf die Versorgung von Waisenkindern und auf die Unterstützung von Tagelöhnern, die entweder krank oder im Winter arbeitslos waren. Wie bereits zu Beginn dieses Buches ausgeführt wurde, hatte das
Poor Law Amendment Act
von 1834 die Armenfürsorge neu geregelt, um die Arbeitslosen zu zwingen, den Schutzbereich ihres
parish
zu verlassen und dorthin zu gehen, wo die Industrie sie brauchte. Damit war ab 1834 der Begriff
parish
ein sozialpolitischer Knochen,um den sich das liberal-fortschrittliche und das konservative Lager aus entgegengesetzten Motiven balgten.
    Titelbild der
Sketches by Boz.
    Wenn Dickens sein Buch mit der Abteilung
Our Parish
beginnen lässt und die erste Skizze zum größeren Teil der gefürchteten Respektsperson des Gemeindebüttels (
beadle
) widmet, dann wurde der Leser damit in das Minenfeld einer höchst aktuellen innenpolitischen Debatte geführt. Im Rest des Buches überwiegen dann aber die komisch-grotesken Züge. Doch ans Ende der drei Hauptgruppen stellt Dickens je eine Skizze, in der bereits das düstere Milieu von
Oliver Twist
anklingt. Diese Skizzen tragen die Titel
Ein Besuch im Newgate-Gefängnis, Der Gefangenentransport
und
Der Tod des Trunksüchtigen
. Auch in den komischen Skizzen werden Motive angeschlagen, die später in den Romanen wiederkehren. Vor allem aber breitet Dickens in dem Buch schon fast die ganze Palette aus, die seinen Romanen ihre unnachahmliche Farbigkeit gibt. Die charakteristischsten seiner Kunstmittel sollen deshalb kurz vorgestellt werden.
    Was wohl jedem Dickensleser am unmittelbarsten ins Auge springt, sind die Namen der Figuren. Selten sind es sprechende Namen, die mit ihrer Wortbedeutung auf einen typischen Charakterzug hinweisen. Trotzdem scheinen sie auf die jeweilige Figur wie maßgeschneidert zu passen. Wenn jemand Nicodemus Dumps, Watkins Tottle oder Horatio Sparkins heißt, dann verbindet sich in der Fantasie des Lesers der Name mit der Figur auf eine schwer zu erklärende Weise zu einer einprägsamen, oft unvergesslichen Gestalt.
    Das zweite Merkmal ist die Technik der Detailhäufung beim Beschreiben von Figuren, Gebäuden oder Landschaften. Die Einführung einer Person durch eine steckbriefartige Beschreibung ihres Äußeren findet man schon bei früheren Erzählern wie Smollett und Scott, doch wo Smollett einen exzentrisch-grotesken Effekt und Scott ein realistisches Bild anstrebten, entwickelte Dickens ein konzentrisches Verfahren, indem er einen Grundzug im Erscheinungsbild der Figur durch gleichgestimmte Details immer weiter intensiviert. Oft lässt er dem Katalog von Merkmalen zuletzt ein scheinbar ganz überflüssiges, aber scharf beobachtetes Detail folgen, das dem Bild eine spezifisch Dickens’sche Signatur aufsetzt. Bei Gebäuden und Landschaften bedient er sich des gleichen Verfahrens, wobei er später in immer stärkerem Maße zum Mittel der Wiederholung eines den Grundton bestimmenden Wortes greift.Das gibt seinen Romanen, wie noch gezeigt werden soll, Hintergründe von solcher atmosphärischen Intensität, dass sie zu symbolischen Reflektoren der Innenwelt des Geschehens werden.
    «Öffentliche Dinners» in
Sketches by Boz
. Gezeichnet von George Cruikshank. Die große Figur in der Mitte stellt Dickens dar.
    Das dritte Merkmal hängt mit dem zweiten eng zusammen. Anders als beispielsweise sein Zeitgenosse William Makepeace Thackeray, der aus größerer Distanz erzählt und dabei gern ein breites historisches oder gesellschaftliches Panorama in den Blick nimmt, liebt Dickens die szenische Präsentation aus kurzer Distanz. Dabei kann er seine scharfe

Weitere Kostenlose Bücher