Charles Dickens
Beobachtungsgabe und die Kunst der konzentrischen Detailhäufung effektvoll ausspielen. Seine Erzählweise wirkt dabei wie eine Vorwegnahme des Films vor dessen Erfindung.
Ein weiteres Merkmal springt in vielen seiner Werke noch unmittelbarer ins Auge als die drei bisher genannten. Es ist die Mischung aus komischer Darstellung und Komik des Dargestellten, die bereits in den
Skizzen
allenthalben anzutreffen ist. Was sprachliche Komik angeht, gibt es wenige, die an Dickens heranreichen. Er versteht es meisterhaft, seinen Figuren eine eigene Sprache, einen Idiolekt, zu geben, indem erindividuelle Sprachmarotten mit Elementen des Londoner Stadtdialekts mischt. Auch wenn er als Erzähler selber spricht, beherrscht er die Kunst, mit überraschenden Formulierungen, Wortspielen und Doppeldeutigkeiten humoristische Wirkung zu erzielen. Am unverwechselbarsten ist der Dickens-Ton bei der Beschreibung skurriler Typen. Hier eine Kostprobe aus der Erzählung «Die Tuggses in Ramsgate» als Vorgeschmack auf das, worin Dickens zum unübertroffenen Meister wurde:
Vor Zeiten lebte in einer engen Straße auf der Surrey-Seite des Flusses, nur drei Minuten Fußweg von der alten London Bridge, Mr. Joseph Tuggs – ein kleiner Mann mit dunklem Teint, glänzendem Haar, zwinkernden Augen, kurzen Beinen und einem Körper von beträchtlicher Dicke, gemessen vom mittleren Knopf seiner vorderen Weste bis zum dekorativen Knopf auf der Rückseite. Die Figur der liebenswürdigen Mrs. Tuggs, wenngleich nicht ganz sein symmetrisches Ebenbild, war entschieden gemütlich; und auch die Gestalt ihrer einzigen Tochter, der wohlerzogenen Miss Charlotte Tuggs, reifte sichtlich zu jener luxuriösen Rundlichkeit heran, die in früheren Jahren das Auge von Mr. Tuggs bezauberte und sein Herz gefangen nahm. Mr. Simon Tuggs, sein einziger Sohn und Miss Charlotte Tuggs’ einziger Bruder, war an Gestalt ebenso verschieden vom Rest der Familie, wie er sich in seiner geistigen Konstitution von ihr unterschied. Die Länge seines gedankenvollen Gesichts und seine zur Schwäche tendierenden interessanten Beine sprachen unmissverständlich für einen großen Geist und eine romantische Gemütsverfassung. Selbst die nebensächlichsten Züge eines solchen Charakters sind für einen spekulativen Geist von nicht geringem Interesse. In der Öffentlichkeit erschien er gewöhnlich in geräumigen Schuhen und schwarzen Baumwollsocken; und man beobachtete an ihm eine besondere Anhänglichkeit bezüglich eines glänzenden schwarzen Stehkragens, den er ohne Krawatte oder ein anderes Ornament trug.
Im Schaffensrausch
1836 und 1837
Das Erscheinen der
Skizzen
am 8. Februar 1836 war die Ouvertüre zu einem Schaffensjahr, in dem Dickens mit staunenswerter Arbeitskraft immer neue Projekte in Angriff nahm. Schon am 10. Februar machte ihm William Hall, der zusammen mit Edward Chapman seit 1830 einen Verlag betrieb, das Angebot, den begleitenden Text zu einer Serie von sogenannten
sporting scenes
zu schreiben, in denen der Graphiker Robert Seymour die Abenteuer eines fiktiven Nimrod-Clubs darstellen sollte. Seymour, ein junger, schon recht bekannter Illustrator, hatte die Idee dazu bereits Ende 1835 an die Verleger herangetragen, die nun auf der Suche nach einem Verfasser für die Texte waren.
Solche episodisch erzählten und mit Stichen illustrierten komischgrotesken Abenteuer von Möchtegern-Sportlern aus der Londoner City waren einige Jahre zuvor in Mode gekommen. George Cruikshank hatte mit der Illustration der populären Verserzählung
The Diverting History of John Gilpin
aus der Feder des Frühromantikers William Cowper den Boden dafür bereitet und in der Zeitschrift
The Comic Almanack
, dem Vorläufer von
Punch
, weitere Serien dieses Typs folgen lassen. Besonders erfolgreich war Robert Smith Surtees (1805–64), der 1830 als Sportjournalist Beiträge zu
The Sporting Magazine
schrieb und ein Jahr später das
New Sport Magazine
gründete. Darin schilderte er die Abenteuer von Mr. Jorrocks, einem Londoner Gemüsehändler, die er 1838 gesammelt unter dem Titel
Jorrock’s Jaunts and Jollities
herausbrachte. Auch Seymour hatte sich schon 1833 auf diesem Felde mit den Illustrationen zu einer satirischen Folge von Anglerabenteuern einen Namen gemacht.
Chapman und Hall sahen für ihren noch jungen, nicht sehr kapitalkräftigen Verlag die besten Marktchancen in der Publikation von Fortsetzungserzählungen,da Wochen- und Monatshefte auch von der Unterschicht gekauft wurden, während
Weitere Kostenlose Bücher