Charles Dickens
betrauerten Schwägerin in ihr ein lebendes Denkmal setzen wollte.
Außer der Arbeit an den beiden Romanen lag dem vielbeschäftigten Autor noch ein dritter auf der Seele. Seit Mai 1836 hatte er sein allererstes Romanprojekt vor sich hergeschoben. Nachdem er zunächst dem Verleger Macrone den Roman
Gabriel Vardon, the Locksmith of London
versprochen und danach am 22. August 1836 einen Vertrag mit Bentley darüber geschlossen hatte, wartete dieser mit wachsender Ungeduld auf das dreibändige Werk. Im Lauf der nächsten Jahre kam es zu insgesamt elf Vertragsänderungen, ohne dass Dickens über viel mehr als den neuen Titel
Barnaby Rudge
hinauskommen sollte.
Die Gründe für sein Zaudern waren verständlich. Im Zentrum des Romans sollte ein historisches Ereignis stehen, nämlich die antikatholische Rebellion, die der fanatische Katholikenhasser Lord Gordon 1780 in London angezettelt hatte. Mit einem solchen Stoff hätte sich Dickens auf das Feld Sir Walter Scotts begeben, des Erfinders und Großmeisters des historischen Romans. Und da der Höhepunkt der Handlung der Sturm auf das Newgate-Gefängnis sein sollte, hätte sich Dickens in unmittelbare Konkurrenz zu Scotts Meisterwerk
The Heart of Midlothian
gewagt; denn auch dort geht es um eine spontane Rebellion,die in einem Sturm auf das Edinburger Gefängnis, das «Herz von Midlothian», gipfelt. Man kann sich gut vorstellen, dass es Dickens einerseits reizte, den Wettkampf mit Scott aufzunehmen, dass er andererseits aber davor zurückscheute, sein eben erst gewonnenes Ansehen als «unnachahmlicher» Meister des humoristischen Genres dadurch aufs Spiel zu setzen, dass er sich auf ein Gebiet begab, das seinem Naturell nicht wirklich entsprach.
Bis Juni 1838 hatte er parallel an den beiden laufenden Fortsetzungsromanen gearbeitet. Dann machte er mit seiner Familie für zwei Monate Urlaub in einer Villa in Twickenham, von wo aus er weiter seinen Verpflichtungen nachkam. Am 3. September flüchtete er noch einmal für neun Tage auf die Isle of Wight, um sich ganz auf
Oliver Twist
zu konzentrieren, den er im Oktober abschloss. Danach machte er sich Ende des Monats, wiederum in Begleitung von Browne, auf eine Rundreise zu ruhmreichen Städten im Süden Englands und in den Midlands. Er besuchte Warwick Caste, Kenilworth, Shakespeares Geburtsort Stratford und Shrewsbury. Von dort ging es weiter nach Birmingham, Wolverhampton, nach Llangollen in Wales und zuletzt nach Liverpool und Manchester, wo er zum ersten Mal das ganze Ausmaß der Industrialisierung kennenlernte. Doch am 8. November brach er die Reise ab und eilte zurück nach London, um beim Erscheinen der dreibändigen Buchausgabe von
Oliver Twist
anwesend zu sein. Die Publikation der monatlichen Fortsetzungen des Romans ging noch bis April 1839 weiter.
Am 22. September 1838 hatte sich Dickens mit Bentley darauf geeinigt, dass
Barnaby Rudge
nicht als fertiges Buch, sondern im Anschluss an
Oliver Twist
als Fortsetzungsroman erscheinen sollte. Aber auch dazu konnte er sich nicht durchringen. Statt sich nach der Vertragserneuerung an den historischen Roman zu machen, schrieb er lieber für Macready die dramatische Farce
The Lamplighter
(
Der Lampenanzünder
), die er dem Freund am 5. Dezember vorlas. Den Rest des anstrengenden Jahres verbrachte er mit geradezu hektischer Geselligkeit. In einer erneuten Vertragsänderung verpflichtete er sich gegenüber Bentley, den leidigen Roman nun doch als fertiges Manuskript, aber erst im Januar 1840 abzuliefern, wofür ein Honorar von 4000 Pfund vereinbart wurde.
In das Jahr 1838 fällt vermutlich auch Dickens’ Bekanntwerden mitdem Arzt John Elliotson (1791–1868), der sich als einer der Ersten für eine Therapie durch Mesmerisieren einsetzte. Das von dem deutschen Arzt Franz Anton Mesmer (1734–1815) bereits 1771 propagierte Verfahren des Heilens durch Hypnose – Mesmer sprach von «animalischem Magnetismus» – war schon bald auf dem Umweg über Frankreich nach England gelangt, wo es lange Zeit bespöttelt und angefeindet wurde. Elliotson, der in den 1830er Jahren Professor an der Medizinischen Hochschule in London war, setzte sich für die Aufnahme des Verfahrens in die allgemeine Praxis ein, stieß dabei aber auf so heftigen Widerstand seitens der materialistisch ausgerichteten Schulmedizin, dass er seine Professur aufgeben musste. Umso mehr Interesse fand er mit seinen Demonstrationen beim gebildeten Laienpublikum. Zu seinen interessiertesten Adepten zählte
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