Charles Dickens
Ähnlichkeit ist aber auch der Unterschied offensichtlich.
Bei Hogarth dient das Lächerlichmachen ausschließlich der satirischen Absicht und hat damit eine moralisierende Qualität. Bei Dickenssteht ebenso eindeutig der humoristische Effekt im Vordergrund. Selbst als er seinen Helden ins Schuldgefängnis schickt und dabei auf das eigene Kindheitserlebnis zurückgreift, ist vom Leidensdruck dieses Traumas nichts zu spüren. Pickwick bleibt auch während seiner dreimonatigen Haft im Fleet Prison – genauso lange saß Dickens’ Vater im Marshalsea-Gefängnis – der ungebrochene Ritter ohne Furcht und Tadel. Unterstützt wird er selbst hier von seinem getreuen Sam Weller, der den eigenen Vater überreden musste, ihn wegen einer nicht bestehenden Geldschuld zu verklagen, damit er seinem Herrn ins Schuldgefängnis folgen konnte. Das ganze Buch ist ein Epos menschlicher Großherzigkeit und Lächerlichkeit und in sofern dem Buch von Cervantes ähnlicher als den Satiren Hogarths. Ein Modewort jener Zeit war
humbug
, das um 1750 aufkam und ursprünglich ‹Hochstapler› bedeutete. Als Mr. Pickwick gleich am Anfang des Romans von Mr. Blotton
humbug
genannt wird, gibt es Streit, der erst beilegt wird, als man sich darauf verständigt, dass das Wort im ‹pickwickianischen› Sinn gemeint war. Das ist die viktorianische Variante von donquichotesk.
William Hogarth, der Dickens des 18. Jahrhunderts. «Die Stimmabgabe».
Lust und Last
des Schreibens
1838
Nach der Beendigung der
Pickwick Papers
hätte sich Dickens im Jahr 1838 ganz seinem zweiten Roman,
Oliver Twist
, widmen können, von dem bei Jahresbeginn erst ein gutes Drittel erschienen war. Doch die widerwillig übernommene Herausgeberschaft der Memoiren Grimaldis verlangte von ihm mehr Arbeit als erwartet. Der Text aus der Feder eines Journalisten namens Wilks lag ihm in einer Fassung vor, die er als
dreary twaddle,
‹langweiliges Geschwätz›, empfand, so dass er sich genötigt sah, sie in großen Teilen umzuschreiben. Das tat er mit wachsendem Gusto und machte daraus fast ein eigenes Werk. Kaum hatte er die Pflichtarbeit hinter sich, ließ er sich zu einer weiteren überreden. Chapman & Hall hatten kurz vorher die humoristischen
Sketches of Young Ladies
des Pfarrers Edward Caswall unter dem Pseudonym ‹Quiz› mit Illustrationen von Hablot K. Browne herausgebracht. Jetzt wollten sie von Dickens einen Nachfolgeband mit dem Titel
Sketches of
Y
oung Gentlemen
haben. Es sollte wie der Vorgänger ein schmales Buch für drei Shilling werden, wofür die Verleger dennoch 125 Pfund Honorar anboten. Dickens sah darin eine Gelegenheit, mit wenig Arbeit gutes Geld zu verdienen, ohne seinem Renommee zu schaden, da das Buch anonym erscheinen würde.
Nachdem Dickens auch diese Arbeit abgeliefert und daneben noch Theaterkritiken für Forsters
Examiner
geschrieben hatte, zeigte er zum ersten Mal Anzeichen von Überarbeitung; denn inzwischen hatte er bereits mit den Vorarbeiten für den nächsten Roman begonnen, der den ironisch-umständlichen Titel tragen sollte:
The Life and Adventures of Nicholas Nickleby, containing a Faithful Account of the Fortunes, Misfortunes, Uprisings, Downfallings, and Complete Career of the Nickleby Family,Edited by ‹Boz›
(
Leben und Abenteuer von Nicholas Nickleby, nebst einem wahrheitsgetreuen Bericht der Glücks
-
und Unglücksfälle, der Aufstiege, Abstürze und vollständigen Karriere der Familie Nickleby, herausgegeben von ‹Boz›»
). In diesem Roman wollte er einerseits das Erfolgsrezept der
Pickwick Papers
beibehalten, andererseits aber auch die sozialkritische Stoßrichtung von
Oliver Twist
fortsetzen. Als Zielscheibe dafür hatte er die übelbeleumdeten Privatschulen in Yorkshire im Visier, deren Missstände zu jener Zeit öffentlich diskutiert wurden. Um sich Kenntnis davon aus unmittelbarer Anschauung zu verschaffen, reiste er am 30. Januar mit seinem Illustrator Browne nach Norden und ließ sich unter dem Vorwand, eine geeignete Schule für den Sohn einer armen Witwe zu suchen, einige dieser Schulen zeigen. Was er dabei zu sehen bekam, gab ihm reichlich Stoff für den neuen Roman. Nach der Rückkehr von der Reise machte er sich sogleich an die erste Folge, die am 31. März herauskam. Jetzt schrieb er, wie schon im Jahr davor, wieder gleichzeitig an zwei Romanen. Kurz vorher, am 6. März 1838, war seine erste Tochter geboren worden, die den Namen Mary und keinen weiteren Vornamen erhielt, was anzeigt, dass Dickens der
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