Charles Dickens
bereiste und freundschaftliche Kontakte zu Dichtern wie Lord Byron und Walter Savage Landor unterhielt. 1822 lernte das Paar den französischen Grafen D’Orsay kennen, der später Blessingtons Tochter aus erster Ehe heiratete, aber schon bald ein Verhältnis mit der Lady selber hatte. Nach dem Tode ihres Mannes lebten die beiden offen zusammen. In London führten sie ein offenes Haus, dessen Kosten die Gräfin zum Teil mit eigener Schriftstellerei bestritt. Wegen ihres freizügigen Lebenswandels wurde sie von der guten Gesellschaft geschnitten, doch für Künstler und Literaten war ihr Salon die erste Adresse.
Die Gräfin Blessington (um 1821). Porträt von Thomas Lawrence.
Hier lernte Dickens Landor kennen, den nach Charles Lamb und William Hazlitt letzten noch lebenden der drei großen romantischen Essayisten. Der 65-Jährige (1775–1864), der zwanzig Jahre in Italien gelebt und sich mit bildungsgesättigten Werken wie den
Imaginary Conversations of Literary Men and Statesmen
(1824–29;
Erdachte Gespräche zwischen Persönlichkeiten aus Literatur und Politik
) hohes Ansehen erworben hatte, machte auf Dickens einen so tiefen Eindruck, dass er die Freundschaft des
grand old man
suchte und ihn im Jahr darauf als Paten und Namensgeber für seinen zweiten Sohn gewann. Auch die Namen seiner nächsten beiden Söhne stammen von Männern, mit denen er in dieser Zeit bekannt wurde. Lord Francis Jeffrey (1773–1850), der Pate des dritten Sohnes, war schottischer Richter, Parlamentsmitglied der Whigs und vor allem Begründer und Herausgeber der einflussreichen
Edinburgh Review
. In dieser angesehensten Literaturzeitschrift der Zeit war im Oktober 1838 eine höchst positive Rezension von
Oliver Twist
erschienen. Als Autor vermutete Dickens den Herausgeber selber. Tatsächlich stammte die Besprechung aber von Thomas Lister. Aber auchJeffrey war von dem jungen Autor so angetan, dass er sich später als dessen
critic laureate
bezeichnete. Die beiden trafen sich 1839 zum ersten Mal und blieben danach lebenslang Freunde. Der zweite Namensgeber aus dem Kreis um Lady Blessington war ihr Lebensgefährte Alfred D’Orsay (1801–52), ein bildschöner französischer Aristokrat, der als «Prinz der Dandies» und dilettierender bildender Künstler die Nachfolge des legendären Beau Brummell angetreten hatte.
Thomas Carlyle. Daguerreotypie.
Ein dritter einflussreicher Salon war der des Whig-Politikers Edward Stanley, mit dem Dickens bereits als Zwanzigjähriger bekannt geworden war, als der Politiker ihn zum Stenografieren einer seiner Reden anheuerte. Jetzt, acht Jahre später, verkehrte der einstige Stenograf in Stanleys Salon als prominenter Gast und traf hier, im März 1840, zum ersten Mal den von ihm am meisten bewunderten und verehrten Intellektuellen seiner Zeit, Thomas Carlyle (1795–1881). Obwohl der 17 Jahre ältere Schotte, der mit seiner
History of the French Revolution
(1837;
Geschichte der französischen Revolution
) berühmt geworden war,dem jungen Autor anfangs reserviert gegenüberstand, kam es zwischen den beiden danach zu einer lebenslangen Freundschaft.
Jane Carlyle. Daguerreotypie.
Carlyle war eine Zentralgestalt des viktorianischen Geisteslebens. Als Biograph Friedrich Schillers und Übersetzer von Goethes
Wilhelm Meister
umgab ihn eine Aura von höchstem Bildungsanspruch. Doch was Dickens an ihm faszinierte, war nicht der deutsche Geist, den Carlyle seinen Landsleuten nahebrachte, sondern die Rigorosität seiner Kritik an der Gesellschaft seiner Zeit. Darin spürte er offenbar eine Geistesverwandtschaft. Auch Carlyle kam aus einfachsten Verhältnissen und musste sich gegen Widerstände hoch arbeiten. Das machte ihn in Dickens’ Augen zu einem Underdog, der es geschafft hatte und den er dafür grenzenlos bewunderte und verehrte. Am ähnlichsten waren sich die beiden in ihrem Schwanken zwischen radikaler Kritik an den Herrschaftsstrukturen einerseits und der konservativen Sehnsucht nach moralischer Autorität andererseits, wobei der autoritäre Zug bei Carlyle stetig zunahm, während Dickens bis zuletzt seine antiautoritäre Radikalitätbewahrte. Carlyle war seit 1826 mit Jane Baillie Welsh verheiratet, die ihm geistig ebenbürtig war, sich aber ganz in seinen Dienst stellte, was später zu latenten Spannungen führte. Vom wechselvollen Verlauf ihrer Ehe, die wahrscheinlich nie vollzogen wurde, zeugen die ca. 9000 Briefe, die sich die beiden schrieben. Jane gilt als eine der besten Briefschreiberinnen in
Weitere Kostenlose Bücher