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Charles Dickens

Charles Dickens

Titel: Charles Dickens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Dieter Gelfert
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Miscellany
musste er nun Woche für Woche genug Material für eine Nummer zusammenbringen. Auf der anderen Seite bot ihm die neue Form aber auch die Möglichkeit, eine Nummer bei fehlendem Material mit kleinen, schnell herzustellenden Beiträgen aufzufüllen. Um das Maximum an Profit aus dem Unternehmen herauszuschlagen, war von Anfang an daran gedacht, eine Auswahl aus den wöchentlichen Heften in Monatsheften nachzudrucken und aus diesen wiederum halbjährliche Buchausgaben zu machen. Dank seiner strikten Arbeitsdisziplin konnte es sich Dickens leisten, seine Urlaubsgewohnheiten beizubehalten. So verbrachte er den Juni wie gewohnt mit seiner Familie in Broadstairs, von wo aus er die Zeitschrift weiter betreute. Vom 27. Juli bis zum 4. August folgte ein Kurzbesuch bei seinen Eltern in Devon.
    Es war klar, dass in der Zeitschrift endlich auch
Barnaby Rudge
erscheinen sollte. Aber noch wollte sich Dickens der unmittelbaren Konkurrenz mit Scott nicht stellen. Stattdessen begann er erst einmal damit, den alten Humphrey bei einer nächtlichen Wanderung durch die stillen Straßen der Stadt zu einem Raritätenladen zu führen, in dem ein Großvater mit seiner Enkelin, einem engelhaft schönen Kind, lebte. Die Idee dazu war ihm bei einem Vier-Tage-Trip nach Bath gekommen, den er Ende Februar mit Forster unternommen hatte, um dort Landor zu besuchen. Ursprünglich sollte das Motiv des Raritätenladens nur der Aufhänger für einige wenige Skizzen der ersten Nummern sein, doch dann fing Dickens Feuer und begann, den Faden zu einer längeren Erzählung weiterzuspinnen, bis schließlich ein ganzer Roman daraus wurde. Man merkt dem fertigen Werk mit dem Titel
The Old Curiosity Shop (Der alte Raritätenladen)
die ungeplante Entstehung noch an; denn darin taucht am Anfang Master Humphrey selber als Erzähler auf und verschwindet dann plötzlich, ohne wiederzukehren.
    Mit der Einführung von Little Nell, der Enkelin, traf Dickens den Nerv eines tränenseligen Publikums. Unschuldige Kinder, die in der rauen Welt wie Blumen verwelken, waren seit langem ein literarisches Motiv, das die Herzen der Leser anrührte. William Wordsworth, Englands höchstgeschätzter Romantiker, hatte es in Gedichte gefasst, die evangelikalen Erbauungsschriften nutzten es, und Dickens selber hatte bereits mit
Oliver Twist
auf diesen Hunger nach Sentimentalität reagiert.Es war aber nicht kühle Kalkulation, was ihn dazu veranlasste. Die Wunde, die der Tod seiner Schwägerin Mary in ihm hinterlassen hatte, war noch längst nicht verheilt; und in Briefen gestand er, wie sie erneut zu bluten anfing, als er Little Nells lange Reise in den Tod zu erzählen begann.
    Da die wöchentlichen Nummern der Zeitschrift außer den Romankapiteln andere, teils narrative, teils essayistische Beiträge enthielten, sahen sich einige Leser in ihrer Erwartung eines neuen Dickens-Romans getäuscht und der triumphale Anfangserfolg ließ nach. Dennoch hielt sich die Auflage bei ca. 50.000. Als am 2. Juli die schon angedeutete Vertragsauflösung mit Bentley geregelt wurde, geriet Dickens in finanzielle Schieflage. Zwar hatten ihm Chapman & Hall 3000 Pfund vorgeschossen, aber der Rückkauf des Copyrights für
Oliver Twist
und für die Ilustrationen von Cruikshank verschlang den größten Teil davon, und mehr als den Rest hatte er vorher bereits für seinen aufwändigen Lebensstil verbraucht. So musste er jetzt bei seinen Verlegern erneut Kredit aufnehmen.
    Ein nebensächlich erscheinendes, aber für das Verständnis von Dickens’ Gefühlswelt aufschlussreiches Ereignis fand am 6. Juli statt. Es war der Tag der Hinrichtung des Schweizer Kammerdieners François Courvoisier, der seinem Herrn, Lord William Russell, nachts die Kehle durchgeschnitten hatte. Diese Tat musste bei Dickens mehr als bloß sensationelles Interesse wecken; denn ein fast identisches Verbrechen hatte er im Jahr zuvor im ersten Kapitel seines Entwurfs zu
Barnaby Rudge
beschrieben. Er bat seinen Schwager Burnett und den Freund Maclise, ihn zur Hinrichtung zu begleiten, wo sie mitten im Gedränge auch Thackeray trafen. Dickens verfolgte das grausige Geschehen mit einer Mischung aus Ekel und Faszination. Vor allem die Blutgier, die er in der wartenden Menge spürte, prägte sich ihm ein. Hier sammelte er Bilder, die er wenig später in
Barnaby Rudge
zu eindrucksvollen Szenen verarbeitete.
    Danach begab er sich mit seiner Familie zum zweiten Male nach Broadstairs, wo er den ganzen September bis zum

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