Charles Dickens
war, dass er sich von seinem Freund und Rechtsanwalt Thomas Mitton am 22. Juli 1843 einen Überbrückungskredit von 70 Pfund erbeten musste. Im August und September machte er trotzdem mit seiner schwangeren Frau und den Kindern Urlaub in Broadstairs, von wo aus er immer wieder nach London fuhr, um seine Arbeit voranzutreiben.
Die Beschäftigung mit dem Elend der Kinderarbeit scheint der Anlass dafür gewesen zu sein, dass er im Herbst den Plan fasste, zum Weihnachtsfest unter dem Titel
A Christmas Carol
seine Sozialkritik in die Form eines Weihnachtsmärchens zu gießen. Er schrieb es im Oktober und November neben der Arbeit am Roman und versprach sich davon so viel Gewinn, dass er den Kredit bei Chapman & Hall würde tilgen können. Als das schmale Buch mit den vier farbigen Illustrationen von John Leech am 17. Dezember herauskam, wurden bis zum Weihnachtstag6000 Exemplare zu dem vergleichsweise hohen Preis von 5 Shilling verkauft. Bis Mai des folgenden Jahres gab es sechs Nachdrucke. Trotzdem war es nicht der erhoffte finanzielle Erfolg. Dickens hatte besonders klug sein wollen und das Buch von Chapman & Hall in Kommission verlegen lassen, worauf ihm der Verlag nach Abzug der Kosten für die aufwändige Herstellung nur 230 Pfund für die erste Auflage überwies. Als bereits am 6. Januar 1844 ein Plagiat erschien, strengte er einen Prozess gegen dessen Verleger an, den er gewann; doch da der Prozessgegner danach in Konkurs ging, blieb er auf Gerichtskosten von 700 Pfund sitzen.
Ein Weihnachtslied in Prosa
Außerhalb der englischsprachigen Welt lebt Dickens im Bewusstsein seiner Leser vor allem als der Schöpfer von
Oliver Twist
und
David Copperfield
, doch im eigenen Land und in Amerika ist er zuerst und vor allem der Autor von
A Christmas Carol. In Prose. Being a Ghost Story of Christmas (Ein Weihnachtslied in Prosa. Eine weihnachtliche Geistergeschichte)
. Der Engländer Gilbert Keith Chesterton, der sich zum Chefpropagandisten des großen Erzählers machte, sah in ihm sogar in erster Linie den Verkünder einer «Weihnachtsphilosophie». Märchenhafte Züge trugen schon die früheren Romane, vor allem der
Raritätenladen
. Während dort aber das realistische Geschehen märchenhaft verallgemeinert wird, wählt Dickens in
A Christmas Carol
das umgekehrte Verfahren: hier erzählt er ein Märchen so, dass seine Leser darin eine Kritik an den realen Lebensverhältnissen der Gesellschaft erkennen konnten.
Von den fünf Erzählungen, die er zwischen 1843 und 1848 als separat erscheinende Weihnachtsbücher herausbrachte, ist diese erste nicht nur die bekannteste und beliebteste, sondern auch die beste; denn darin sind die beiden Aspekte so austariert, dass weder die Realität durch das Märchen verharmlost noch das Märchen durch die Realität sentimentalisiert wird. Dickens hatte kurz vorher einen Parlamentsbericht über die Ausbeutung von Kindern in den Fabriken gelesen und versprochen, dass er gegen diesen Missstand «einen Hieb mit dem Vorschlaghammer» führen werde. Doch sein Vorschlaghammer war nicht auf konkrete Lebens- und Arbeitsbedingungen, sondern auf die verhärteten Herzen der dafür Verantwortlichen gerichtet.
So erzählt er in seinem
Weihnachtslied
das Märchen von Scrooge, einem hartherzigen Geizhals, dem in der Nacht vor Weihnachten Geister erscheinen, die ihn zur inneren Umkehr bewegen wollen. Zuerst erscheint ihm der Geist seines vor sieben Jahren verstorbenen Partners Marley, der ihn davor warnt, so zu enden wie er selber, nämlich als erkalteter Mensch, der sich selber in Ketten gelegt hat. Dann folgen drei Geistererscheinungen, die Weihnachten wie es war, wie es ist und wie es sein wird verkörpern. Der erste Geist ruft in ihm die Erinnerung an Kindheitsängsteund an die gute Zeit bei seinem Lehrherrn Fezziwig wach, der zweite führt ihn in den Haushalt seines Angestellten Cratchit, wo er sieht, wie Menschen unter ärmlichen Bedingungen ein Fest der Nächstenliebe feiern. Der dritte zeigt ihm den Leichnam eines ungeliebten Pfandleihers, in dem er sich selbst erkennt. Als er am Weihnachtsmorgen erwacht und merkt, dass er das Fest nicht verschlafen hat, geht er in sich und kehrt in die menschliche Gemeinschaft zurück, aus der er sich durch seine Hartherzigkeit und Geldgier ausgeschlossen hatte. Er kauft einen Truthahn, bringt ihn zu Cratchit, dem er vorher nur zähneknirschend einen Urlaubstag zu Weihnachten gewährt hatte, und feiert mit dessen Familie ein vergnügtes Weihnachtsfest.
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