Charles Dickens
Als Cratchit am nächsten Morgen verspätet zur Arbeit kommt, ranzt Scrooge ihn zunächst mit gewohnter Strenge an: «Ich bin nicht bereit, dies länger zu dulden …», um dann fortzufahren: «deshalb werde ich Ihnen das Gehalt erhöhen».
«Scrooges dritter Besucher». Gezeichnet von John Leech.
«Mr. Fezziwigs Ball». Gezeichnet von John Leech.
Diese Geschichte ließ Dickens in den Augen der Nachwelt zum Verkünder jener punschseligen, durch und durch optimistischen «Weihnachtsphilosophie» werden, auf die ihn Chesterton festlegte. Tatsächliche nimmt die Idylle in der Erzählung aber nur wenig Raum ein. Der Hauptteil des Märchens beschreibt menschliches Elend und die eisige Kälte, die den alten Scrooge umgibt. Das zentrale Thema der Geschichte – wie auch der vier noch folgenden – ist die Sprengung einer seelischen Panzerung gegenüber menschlichem Leid. Es ist somit das, was die eine Seite der thematischen Struktur der Romane ausmacht; die andere, die Gefahr des Haltlos-Werdens, bleibt in den Weihnachtserzählungen ausgespart, da sie sich im Märchenton schlecht darstellen lässt. Deshalb gibt es in diesen Erzählungen zwar gefängnisartige Räume, aber nur selten die Gegensphäre des Wassers. Um so zentraler ist darin das Erbschaftsmotiv, obgleich es hier nicht als testamentarische Verfügung, sondern als Erinnerung an die eigene Vergangenheit auftaucht. Die Auflösung einer seelischen Verhärtung durch die heilende Wirkung der Erinnerung ist ein Thema, das Dickens’ gesamtes Werk durchzieht.
Neue Verleger
Januar bis Juni 1844
Die Schuld an dem enttäuschenden Ertrag des Weihnachtsbuches sah Dickens nicht in der aufwändigen Herstellung, auf der er bestanden hatte, und in dem dadurch bedingten hohen Preis, sondern in der unzureichenden Werbung, die Chapman & Hall für das Buch betrieben hätten. Er hatte gehofft, mit dem Honorar ein Sabbatjahr auf dem Kontinent finanzieren zu können. Da kam es ihm zupass, als ihm die Verleger Bradbury & Evans einen zinslosen Kredit von 2800 Pfund anboten und dafür nicht die Ablieferung eines Romanmanuskripts zu einem festen Termin, sondern nur die vertragliche Zusicherung eines Viertels der Reinerträge seiner zukünftigen Produktion haben wollten. Sie stellten ihm sogar die Leitung eines neuen Magazins in Aussicht. Damit hatte Dickens die Voraussetzungen für die Auszeit, die er in Italien zu verbringen gedachte. Als der Vertrag unter Dach und Fach war, schrieb er am 24. März 1844 stolz an seinen alten Freund Thomas James Thompson: «Am ersten Juli nimmt Dick Kurs auf die Orangenhaine». Er musste nur noch für Juli die letzte Nummer von
Martin Chuzzlewit
abliefern und seine Schulden bei Chapman & Hall begleichen, dann war er frei, ein ganzes Jahr unter südlicher Sonne zu verbringen.
Sein Groll gegen den alten Verlag war inzwischen so heftig geworden, dass seine geschäftliche Kühle, die er sonst an den Tag legte, von negativen Gefühlen verdrängt wurde. Noch im Sommer des vorangegangenen Jahres hatte er mit Chapman & Hall einen Vertrag für
Martin Chuzzlewit
ausgehandelt, den er voller Stolz als einen Triumph empfand. Obwohl er bei den Verlegern mit 3000 Pfund in der Kreide stand, hatte er ihnen das Zugeständnis abgerungen, ihm einen Vorschuss von 2000 Pfund für ein Sabbatjahr zu gewähren. Als Gegenleistung hatte er ihnen einen weiteren Roman versprochen, von dessen Erträgen er selberDreiviertel erhalten sollte, ohne für den Fall eines Verlustes selber zahlen zu müssen. Eine Klausel seines alten Vertrages vom 7. September 1841, der die Finanzierung seiner Amerikareise regelte, sicherte dem Verlag allerdings die Möglichkeit zu, das Monatshonorar für den laufenden Roman um 50 Pfund zu senken, falls der Profit nicht ausreichen sollte, seine Schulden zu begleichen. Als die Verkaufszahlen des Romans bei 20.000 stagnierten, deutete der Verlag an, dass die Klausel wirksam werde. Dickens wurde wütend. Am 28. Juni 1843 schrieb er an Forster, er sei wild entschlossen, Chapman auszuzahlen, und wolle nie wieder etwas mit ihm zu tun haben. Bradbury & Evans nutzten die gespannte Situation, um dem Konkurrenzverlag mit der oben genannten Offerte den Erfolgsautor auszuspannen.
Rache nahm Dickens auch an Amerika, wobei er sogar eine finanzielle Einbuße in Kauf nahm. Er erklärte öffentlich, dass er bis zur Regelung des Copyrights keine Vorab-Druckfahnen der Monatsnummern seiner Romane mehr an amerikanische Verlage schicken werde. Damit traf er den
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