Charlotte
unter ›Dritte‹. Ich kann nicht für Sie ermitteln, ohne mit jemandem zu reden, und Jennifer ist eine der Letzten, mit denen Ihr Mann ausführlich gesprochen hat.« In ihren Augen blitzte unerwartet ein Funke von Reue auf und ich sagte: »So waren nun einmal die Umstände.«
»Vielleicht haben Sie keine Töchter …«
»Doch, eine. Sie ist noch ganz klein. Alles auf dieser Welt ist für sie noch neu und wunderbar.«
Es ging an ihr vorbei. »Sie können sich ja gar nicht vorstellen, was es für eine Tochter bedeutet, wenn sie solche Dinge über ihren Vater hört.«
»Sie sind die Psychologin, aber Jennifer machte mir durchaus den Eindruck, als könne sie das verkraften. Welche Dinge meinen Sie denn genau?« Ich hatte nicht vor, ihr auf die Sprünge zu helfen.
»Das mit diesem illegitimen Kind und dass Elisabeth eine Lesbierin war und dass Otto diese Frau weiterhin getroffen und sogar Fotos von dem Baby gemacht hat. Dass er uns allen etwas vorgelogen hat.«
Sie erschrak vor CyberNels schnippischer Stimme, die aus der Küche rief: »Strammer Max! Kaffee, erlesene Weine, Whiskey!«
Ich rief zurück, dass wir kämen, schaute Heleen Runing an und sagte: »Ich habe die andere Seite angehört und das ist dabei herausgekommen. Aber ich bin mit meinen Ermittlungen noch nicht fertig.«
»Sie hören auf Lügen und Klatschgeschichten!«, warf sie mir vor.
Ich wurde ärgerlich. »Sie erwarten also, dass ich nur dem Glauben schenke, was Sie hören wollen, und dass ich mit ein paar Kunstgriffen einen einfachen Fall von Betrug aufdecke, sodass alle zufrieden nach Hause gehen können. Ist das Ihre Absicht?«
»Ich lege Wert auf Diskretion.«
Ich seufzte. »Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Sie die Sache am liebsten unter den Teppich kehren würden. Oder mit dem Deckmäntelchen der Liebe zudecken?«
Meine Ironie traf sie. »Ich bin nicht diejenige, die sich Vorwürfe von Ihnen anhören muss.«
»Ich mache Ihnen keine Vorwürfe. Aber vielleicht hätten Sie dieses Mädchen wirklich gleich mit einer Million Euro abfinden sollen. In dem Moment, wo Sie mich engagieren, kommen unvermeidlich auch unangenehme Dinge ans Tageslicht.«
Sie verzog den Mund und sagte: »Ich begreife nicht, dass Sie die Behauptungen einer frustrierten Lesbierin ernster nehmen als die Aussagen von meiner Tochter und mir.«
»Ich dachte, Sie hätten noch nie von Leonoor Brasma gehört? Und Vorurteile scheinen mir nicht zu Ihrem Beruf zu passen.«
Sie nahm den Vorwurf kommentarlos hin. »Ich bin unsicher und verwirrt«, bekannte sie. »Mein Leben wird in seinen Grundfesten erschüttert.«
»Ich kann Sie gut verstehen. Aber ich kann nur wiederholen, dass ich nichts als gegeben hinnehme, solange ich keine Beweise dafür habe. Bis dato stammen die einzigen handfesten Beweise von der anderen Seite, aber ich bin noch nicht fertig. Wäre es Ihnen lieber, dass ich aufhöre?«
Sie erschrak über meine Frage, weil sie selbst damit rang. Sie zögerte. »Ich weiß nicht, was schlimmer ist.«
Ich sah CyberNel auf uns zukommen. »Mein Strammer Max wird kalt«, bemerkte ich nebenbei.
CyberNel wandte sich an sie und meinte: »Man sollte besser der Wahrheit ins Auge sehen, als sich den Rest seines Lebens mit der Ungewissheit zu quälen. Möchten Sie vielleicht eine schöne Tasse Tee? Das tut gut.«
Heleen lächelte sie nachgiebig an. »Ich dachte, ich sei die Psychologin.«
»Mein Fach ist auch mehr die Küchenpsychologie«, antwortete Nel. »Ich denke zum Beispiel nach, während ich versuche, einen strammen Max in der Mikrowelle warm zu halten. Übrigens ist Ihre Tochter Ihnen ähnlich. Auch sie lebt in der felsenfesten Überzeugung, dass das Leben sich an ihre Spielregeln hält.«
»Diese Gewissheit habe ich schon lange nicht mehr«, entgegnete Heleen.
»Und dass immer die anderen Unrecht haben.«
Nel verstand es oft, Bomben kurz vor der Explosion zu entschärfen, und tatsächlich wirkte Heleen jetzt etwas freundlicher. »Das ist Pascal«, sagte sie etwas wehmütig. »Wenn ich doch noch einmal so jung wäre.«
»Also keinen Tee?«
Heleen schüttelte den Kopf und wandte sich zu mir. »Wie viel Zeit brauchen Sie noch?«
»Eine Woche«, antwortete ich optimistisch. »Übrigens ermittle ich auch im Mord an Ihrem Mann.«
Sie erschrak. »Wie bitte?«
»Der Rechtsanwalt des Tatverdächtigen hat mich gebeten, einige Unklarheiten auszuräumen. Ist das ein Problem für Sie?«
»Ja, nein …« Sie war verwirrt und ihr Ärger flammte wieder auf.
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