Charlottes Traumpferd
wie von einem Katapult abgefeuert. Sie legte sich mächtig aufs Gebiss, und ehe ich begriff, war ich neben Nicolas.
»He!« Er grinste. »Du sollst doch hinter mir bleiben!«
»Ich versuchâs ja!«, schrie ich und zerrte hilflos an den Zügeln. Genauso gut hätte ich versuchen können, einen fahrenden Güterzug mit bloÃer Hand zu stoppen. Brunette reagierte nicht, im Gegenteil: Sie wurde immer schneller.
»Dann lass sie laufen!«, rief Nicolas. »Aber fall nicht runter!«
Am Ende meiner Kräfte lieà ich die Zügel lockerer und die Stute beschleunigte so gewaltig, dass es mir den Atem verschlug. Ich ging in den leichten Sitz, duckte mich über den Hals und krallte die Finger in die Mähne. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass ein Pferd so unglaublich schnell galoppieren konnte! Ich hatte das grandiose Gefühl, die Stute würde unter mir fliegen.
Der Strand war mir immer endlos lang erschienen, aber nun stellte ich erschrocken fest, dass ich in wenigen Sekunden bereits die Landzunge erreicht hatte. Meine Versuche, Brunette durchzuparieren, ignorierte die Stute unhöflicherweise.
»Halt an, du Mistvieh!«, schrie ich und riss am linken Zügel.
Ich lehnte mich zurück und gab ein paar wirklich harte Paraden. Endlich verlangsamte die Stute das Tempo und fielschlieÃlich in Trab. Ein Blick über die Schulter zeigte mir, wie weit Nicolas und die beiden jungen Frauen hinter uns zurückgeblieben waren. Brunette schnaubte ein paarmal. Erleichtert klopfte ich der Stute den feuchten Hals und spürte, wie das Zittern in meinem Innern allmählich nachlieÃ.
»Und? Alles in Ordnung?«, rief mir Nicolas mit einer Mischung aus Belustigung und Besorgnis zu.
»Ja!« Ich war noch völlig auÃer Atem, aber dann begann ich zu lachen. Es war herrlich gewesen, ein unvergleichliches Gefühl â fast wie in einer Achterbahn.
Nicolas lenkte sein Pferd neben meines. »Das hast du gut gemacht«, lobte er mich zu meiner Ãberraschung. »Brunette ist zwar schon zwölf und eigentlich eine ganz Brave, aber manchmal erinnert sie sich wohl noch an ihre vergangenen groÃen Zeiten auf der Rennbahn.«
»Sie ist ganz schön schnell«, stimmte ich zu. »So bin ich noch nie galoppiert!«
Vor uns lag schon der nächste Strand.
»Wollen wir noch mal galoppieren?«, fragte Nicolas.
»Na klar!«, riefen wir.
Brunette hatte offensichtlich genug Dampf abgelassen und lieà sich diesmal anstandslos hinter Nicolasâ Pferd halten. Ich blickte auf die untergehende Sonne über dem glitzernden, endlosen Meer, genoss den lauen Wind in meinem Gesicht und fand, ich sei das glücklichste Mädchen auf der ganzen Welt.
Morgens beim Frühstück konnte ich es kaum erwarten, mich wieder auf das klapprige Fahrrad zu schwingen, um in den Club zu fahren. Meine Geschwister spotteten zwar, dass ich kein bisschen braun werden würde, wenn ich den ganzen Tag nur in irgendwelchen Pferdeställen herumkriechen würde, aber ich war gegen ihren Spott längst immun. Wie konnte ich faul am Strand herumliegen, wenn es in der Nähe Pferde gab? Papa und Mama zuckten mit den Schultern und meinten, ich wüsste ja den Weg zum Strand, wenn im Club alle Pferde geputzt und alle Boxen ausgemistet seien. Es war halb zehn, als ich mein Fahrrad atemlos vor dem Büro abstellte.
»Hallo, Charlotte!«, rief Véronique erstaunt, als sie mich erblickte. »Wolltest du heute Morgen reiten?«
»Nein, nein.« Ich war aufgeregt und es war mir irgendwie unangenehm. Hoffentlich glaubten sie nicht, ich wollte mich ihnen aufdrängen.
»Ich dachte, ich könnte hier vielleicht irgendetwas helfen«, sagte ich verlegen. »Es ist todlangweilig, den ganzen Tag am Strand herumzusitzen.«
»Hilfe können wir immer gebrauchen.« Véronique lächelte. »Aber eigentlich bist du doch im Urlaub hier.«
»Für mich sind Pferde mehr Urlaub als alles andere«, versicherte ich ihr.
Die Reitlehrerin lachte. »Na, dann komm mit«, sagte sie. »Gestern am späten Abend haben wir ein neues Pferd bekommen. Das wollen wir uns mal ansehen.«
Ãberglücklich und mit klopfendem Herzen folgte ich ihr durch den Paddock zum Stall. Cécile und Nicolas warteten bereits vor den Stallungen, auÃerdem ein Mädchen und ein Junge, die etwa in meinem Alter waren.
»Ich bringe noch eine freiwillige Helferin
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