Charlottes Traumpferd
sonnenverbrannten Wiese zwischen den Gräben. Sie standen den ganzen Tag in der prallen Sonne und zu fressen gab es nichts. Das war kein beneidenswertes Leben.
Nach ein paar Minuten fasste ich ein wenig mehr Vertrauen zu der braunen Stute, die brav hinter Caramel hertrabte. Die Rothaarige konnte nicht einmal vernünftig leichttraben und hüpfte kichernd auf dem Rücken des armen Caramel herum. Sie verlor einen Steigbügel, dann einen ihrer Mokassins und rutschte bei jedem Trabtritt etwas weiter zur Seite.
»Anhalten! Anhalten!«, rief sie, aber da war es schon zu spät. Bevor Véronique durchparieren konnte, plumpste die Rothaarige unsanft auf den Boden. Die ganze Abteilung hielt an, Nicolas saà von seinem Pferd ab und reichte Véronique die Zügel. Er las den verlorenen Schuh auf und half der Rothaarigen in den Sattel. Wieso gestattete er ihr überhaupt, ineiner solchen Kleidung einen Ausritt mitzumachen?
»Mein Hintern tut weh!«, jammerte die Rothaarige nun. »Ich hab gedacht, dass Reiten viel einfacher ist!«
Ihr Begleiter, der sich recht wacker im Sattel hielt, rollte mit den Augen, die beiden jungen Frauen wechselten belustigte Blicke. Ich hielt mich zurück. Um ein Haar wäre ich ja auch schon beim Aufsitzen wieder runtergefallen.
Nicolas und Véronique berieten sich kurz und entschieden schlieÃlich, dass Véronique mit dem Mann und seiner Freundin wieder zurück zum Club reiten sollte, während Nicolas den Ausritt mit den beiden jungen Frauen und mir fortsetzte.
Gott sei Dank! Ich hatte angesichts der Reitkünste der Frau schon um meinen ersten Galopp am Meer gefürchtet.
Kurz vor sieben erreichten wir ohne weitere Zwischenfälle die Klippen. Ich erinnerte mich daran, wie oft ich als Kind hier entlanggelaufen war und geträumt hatte, ich säÃe auf einem Pferd. Und jetzt war es wirklich so.
Wir durchquerten ein kleines Pinienwäldchen, dann lag das Meer blau schimmernd und spiegelglatt vor uns. Eine leichte Brise wehte. In den Salzsümpfen gab es viele Mücken, aber hier war die Luft frisch und klar. Um Punkt sieben Uhr ritten wir an den Strand. Fast auf der Hinterhand sitzend rutschten die Pferde die schmalen Wege zwischen den glatten Felsen hinunter. Urplötzlich erschrak Brunette, drehte sich um und stürmte zurück in die Dünen. Das war so schnell gegangen, dass ich den Grund für ihr Erschrecken gar nicht bemerkt hatte, doch nun sah ich das flatternde rote Segel eines Windsurfbretts, das an einem der Felsen lehnte. SchlieÃlich gelang es mir, die Stute wieder anzuhalten, aber ich zitterte am ganzen Körper, kaum weniger erschrocken als Brunette.
Ich war so froh gewesen, diesen halsbrecherischen, steilen Pfad hinter mir zu haben, jetzt musste ich ein zweites Mal mit dem Pferd dort hinunter! Und Brunette hatte es nun ziemlich eilig, wieder zu ihren Pferdefreunden zu kommen. Hier und da schimmerte der blanke Fels durch den Sand. Wie schnell konnte die Stute mit ihren Hufeisen auf den Felsen ausrutschen und stürzen! Ich sah mich schon unter dem schweren Körper des Pferdes liegen, das hilflos mit den Beinen in der Luft zappelte, und mir brach der Angstschweià aus. Gab es keinen anderen Weg runter an den Strand? Brunette wieherte wild, schlug mit dem Kopf und zerrte heftig am Zügel.
»Herrje, du dumme Kuh«, murmelte ich mit zusammengebissenen Zähnen, und damit meinte ich eher mich als mein Pferd. »Jetzt stell dich nicht so blöd an.«
»Ganz ruhig, Charlotte!«, rief Nicolas vom Strand aus. »Soll ich kommen und dir helfen?«
»Nein, das schaffe ich schon«, hörte ich mich sagen und nahm allen Mut zusammen. Energisch fasste ich die Zügel kürzer und lenkte die Stute den Pfad hinunter. Tatsächlich ging es doch einfacher, als ich gedacht hatte. Endlich unten am Strand atmete ich vor Erleichterung tief durch.
Das Wasser war schon wieder gesunken, der höchste Punkt der Flut bereits überschritten. Ein schmaler Streifen feuchten Sandes erstreckte sich über die ganze Länge des Strandes: eine ideale Rennbahn!
»Wir galoppieren hintereinanderher!«, rief Nicolas uns zu. »Niemand überholt mich, verstanden?«
Wir nickten und fassten die Zügel kürzer.
»Fertig? Dann los!«
Ich glaubte, ich hätte den abenteuerlichsten Moment des Ausritts schon hinter mir, doch ich sollte mich geirrt haben, denn Brunette galoppierte nicht an, sie schoss los
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