Charlottes Traumpferd
erschrockenen Satz und galoppierte los. Hilflos zerrte die dicke Engländerin an den Zügeln. Véronique trabte rasch an die Spitze und irgendwann bekam die Engländerin das Pferd wieder unter Kontrolle.
Fast die Hälfte der Strecke durch die Salzsümpfe hatten wir inzwischen zurückgelegt und trabten auf einem schmalen Damm zwischen zwei Salztümpeln, die noch Wasser führten, als ein Blitz zuckte und nicht weit entfernt in einen dünnen Baum einschlug. Gleich darauf krachte ein Donner, der die Erde erbeben lieÃ. Auch Won Da Pie fuhr zusammen und scheute, aber für Gosse dâIrlande war es zu viel. Voller Panik schoss er nach vorne. Auf dem schmalen Pfad war jedoch kein Platz für zwei Pferde nebeneinander. Ich wollte Véronique zurufen, sie solle aufpassen, doch meine Worte gingen im nächsten Donnerschlag unter. Gosse dâIrlande prallte in vollem Galopp gegen Iseult und drängte sich an ihr vorbei. Die zierliche Rappstute verlor durch den unerwarteten Stoà das Gleichgewicht und stolperte. Voller Entsetzen sah ich sie abrutschen. Ihre schlanken Beine ruderten verzweifelt in der Luft. Sekunden später verschwand sie mit angstvoll aufgerissenen Augen und mitsamt Véronique im brackigen Wasser des Salzsees.
Für einen Moment schien alles still zu stehen. Ich sah die erschrockenen Gesichter der beiden Mädchen auf Kébia und Caramel, ich hörte die Engländerin immer wieder »Iâm sorry, Iâm sorry!« rufen. Iseult zappelte wie wild im Wasser, aber ich konnte Véronique nirgendwo entdecken. Nach ein paar Schrecksekunden, in denen ich wie erstarrt auf Won Da Pie gesessen hatte, sprang ich aus dem Sattel, drückte einem der Mädchen die Zügel in die Hand und rannte zu der Unglücksstelle.
Ich war erleichtert, als ich sah, dass es Véronique gelungen war, unter dem Körper der Stute hervorzukriechen. Sie war völlig durchnässt und ganz auÃer sich. Ich fiel auf die Knie.
»Bist du verletzt?«, schrie ich über das Krachen des nächsten Donners hinweg und streckte ihr meine Hand hin.
»Ich weià nicht«, schluchzte Véronique und ergriff meine Hand.
Ich zerrte mit aller Kraft, um sie aus dem morastigen Wasser herauszubekommen, aber ich hätte auch versuchen können, einen Baumstamm aus der Erde zu ziehen.
»Es geht nicht!«, keuchte Véronique. »Mein Bein ist eingeklemmt!«
Iseult lag nun ganz ruhig. Ihr Kopf ragte aus dem Wasser, Augen und Nüstern waren weit aufgerissen. Sie hatte einen Schock.
»Oh Gott!« Véronique presste die Stirn gegen die Uferböschung. »Ich glaube, mein Bein ist gebrochen.«
»Hast du dein Handy dabei?«, fragte ich. Ein Hoffnungsschimmer flog über Véroniques Gesicht. Sie tastete mit der freien Hand unter Wasser in den Taschen ihrer Weste und fand tatsächlich das Gerät, aber das Bad im Salzsee hatte es ruiniert. Zu meiner Enttäuschung hatte auch keine der drei anderen Reiterinnen ein Handy dabei.
Véronique brach in Tränen aus.
»Nicolas ist nicht da«, flüsterte sie. »Und wenn nun Iseult etwas passiert ist â¦Â«
War ich bis dahin noch wie gelähmt vor Schreck, so wusste ich plötzlich ganz klar, was ich zu tun hatte. Beim Anblick der weinenden Véronique und des hilflosen Pferdes in der Saline gab es keine andere Möglichkeit. Ich war die Einzige, die sich in diesem Gewirr von schmalen Wegen, Salzsümpfen und Seen auskannte. Ich musste losreiten und Hilfe holen.
Mein Blick fiel auf einen alten Lagerschuppen, keine fünfzig Meter entfernt auf der anderen Seite des Sees. Dort konnten die Engländerin und die beiden Mädchen mit den Pferden Schutz vor dem Gewitter suchen. Véronique und Iseult, die dicht am Boden lagen, waren vor den Blitzen sicher. An mich selbst und daran, dass ein Pferd als höchste Erhebung auf dem flachen Land eine perfekte Zielscheibe für Blitze war, dachte ich keine Sekunde.
»Ich hole Hilfe!«, rief ich Véronique zu.
Die Reitlehrerin presste die Lippen zusammen. »Das ist wohl die einzige Möglichkeit. Aber pass um Gottes willen auf dich auf, Charlotte!«
»Mach dir um mich keine Sorgen«, erwiderte ich. Ich wies den beiden Mädchen und der Frau den Weg zu dem offenen Unterstand aus Holz, der sie vor dem Unwetter schützen würde. Sie saÃen ab und führten ihre Pferde den schmalen Pfad entlang.
Won Da Pie tänzelte nervös,
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