Charlston Girl
ihre Augen beeindruckend weit auf. »Es ist so schlimm, dass sie sogar überlegt, ob sie kündigen soll.«
»Okay. Entscheidend ist...«
»Sie ist natürlich Chefin der Marketingabteilung!«, sagt Sadie triumphierend. »Es stand auf ihrem Schild. Das suchtest du doch: einen Marketingexperten. Letzten Monat hat sie einen Preis gewonnen. Aber ihr neuer Chef hat ihr nicht mal gratuliert. Er ist ein Schwein«, fügt sie vertraulich hinzu. »Deshalb will sie weg.«
Ich schlucke mehrmals, versuche, die Ruhe zu bewahren. Eine Marketingchefin, die den Job wechseln will. Eine preisgekrönte Marketingchefin, die den Job wechseln will. Oh Gott. Ich würde sterben und käme in den Himmel. »Sadie... stimmt das auch?«
»Natürlich! Da drüben ist sie!« Sadie deutet zum anderen Ende des Saales.
»Steht sie auf Sport? Fitness?«
»Kräftige Schenkel«, sagt Sadie begeistert. »Sind mir gleich aufgefallen.«
Eilig trete ich an eine Tafel und suche die Liste der Gäste ab. Clare... Clare...
»Clare Fortescue, Marketing Director bei Shepherd Homes?« Ich bin ganz aufgeregt. »Die stand auf meiner neuen Longlist! Ich wollte mit ihr sprechen, kam aber nicht durch!«
»Nun, da ist sie! Komm schon, ich führ dich zu ihr!« Mein Herz rast, als ich durch den Saal stürme und alle Gesichter nach jemandem absuche, der wie eine Clare aussieht.
»Da!« Sadie zeigt auf eine Frau mit Brille und blauem Kleid. Sie hat kurzes, dunkles Haar, einen Leberfleck auf der Nase und ist eher klein. Ich hätte sie vermutlich kaum bemerkt, wenn Sadie mich nicht auf sie aufmerksam gemacht hätte.
»Hi!« Ich mache einen Schritt auf sie zu und hole tief Luft.
»Clare Fortescue?«
»Ja?«, sagt sie forsch. »Dürfte ich Sie kurz sprechen?«
»Also... okay.« Clare Fortescue wirkt leicht verwundert, als ich sie von der Gruppe wegführe, bei der sie stand.
»Hi.« Nervös lächle ich sie an. »Mein Name ist Lara. Ich bin Personalberaterin. Ich wollte Sie schon länger kontaktieren. Ihr Ruf eilt Ihnen voraus.«
»Tatsächlich?« Misstrauisch sieht sie mich an.
»Natürlich! Erst mal... möchte ich Ihnen zu Ihrem jüngsten Preis gratulieren!«
»Oh.« Clare Fortescues Ohren nehmen eine rosige Färbung an. »Vielen Dank.«
»Ich bin momentan damit beschäftigt, den Posten eines Marketingdirektors zu besetzen«, flüstere ich diskret, »und wollte Ihnen das Angebot kurz unterbreiten. Es handelt sich um eine aufstrebende Sportbekleidungsfirma mit ungeheurem Potential, und ich glaube, Sie wären genau die Richtige. Sie wären meine erste Wahl.« Ich mache eine Pause, dann füge ich hinzu: »Aber vielleicht sind Sie ja auch froh und glücklich, wo Sie gerade sind...«
Wir schweigen. Ich kann nicht beurteilen, was hinter Clare Fortescues Brille vor sich geht. Mein ganzer Körper ist derart angespannt, dass ich gar nicht atmen kann.
»Ehrlich gesagt... hatte ich schon daran gedacht, mich zu verändern«, sagt sie schließlich so leise, dass ich sie kaum hören kann. »Könnte sein, dass ich Interesse habe. Aber es müsste die richtige Konstellation sein.« Sie wirft mir einen eisenharten Blick zu. »Ich werde mich auf keinen Fall unter Wert verkaufen. Ich habe präzise Vorstellungen.«
Irgendwie schaffe ich es, nicht zu juchzen. Sie hat Interesse, und sie ist hartgesotten!
»Sehr schön!« Ich lächle. »Vielleicht könnte ich Sie morgen früh anrufen. Oder wenn Sie jetzt gleich ein paar Minuten Zeit hätten?« Ich gebe mir Mühe, nicht allzu verzweifelt zu klingen. »Könnten wir reden? Ganz kurz?«
Bitte... bitte... bittebittebitte...
Zehn Minuten später kehre ich zu unserem Tisch zurück, vor Aufregung ganz aus dem Häuschen. Sie will mir morgen ihren Lebenslauf schicken. Sie hat früher als Rechtsaußen Hockey gespielt! Sie passt perfekt!
Sadie scheint noch begeisterter zu sein als ich.
»Ich wusste es!«, sagt sie immer wieder. »Ich wusste, dass sie die Richtige ist!«
»Du bist die Größte«, sage ich begeistert. »Wir sind ein Team! High Five!«
»High was?« Sadie versteht kein Wort.
»High Five! Weißt du nicht, was ein High Five ist? Heb deine Hand...«
Okay. Wie sich herausstellt, ist es ein Fehler, einem Geist einen High Five zu zeigen. Die Frau in Rot dachte, ich wollte ihr eine runterhauen. Eilig gehe ich weiter. Ich komme zum Tisch und strahle Ed an. »Ich bin wieder da!«
»Das sind Sie.« Verwundert sieht er mich an. »Wie geht‘s?«
»Wenn Sie schon so fragen: Prächtig!«
»Prächtig!«, wiederholt Sadie und springt
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