Charlston Girl
beschließe, dass ich jetzt dran bin loszulegen. »Legen Sie Patiencen oder so was?«
»Poker. Wenn ich jemanden finde, der mit mir spielt. Sie könnten bestimmt gut pokern«, fügt er hinzu.
»Ich wäre fürchterlich!«, widerspreche ich ihm. »Ich bin beim Zocken völlig unfähig und...« Ich stutze, als Ed den Kopf schüttelt.
»Beim Pokern geht es nicht ums Zocken. Es geht darum, Menschen zu durchschauen. Der Umstand, dass Sie die ostasiatische Kunst des Gedankenlesens beherrschen, ist da bestimmt ganz hilfreich.«
»Ach, ja.« Ich erröte. »Nun... meine Kräfte scheinen mich verlassen zu haben.«
Ed zieht eine Augenbraue hoch. »Sie wollen mich doch nicht etwa für dumm verkaufen, Miss Lington?«
»Nein!« Ich lache. »Wirklich! Ich bin gänzlich unbeleckt.«
»Okay.« Er mischt den Stapel fachmännisch. »Sie müssen nur wissen: Haben die anderen Spieler gute Karten oder schlechte? Ganz einfach. Also sehen Sie Ihrem Gegner ins Gesicht. Und fragen Sie sich: ›Geht da irgendwas vor sich?‹ Das ist das ganze Spiel.«
»›Geht da irgendwas vor sich?‹«, wiederhole ich. »Und wie erkennt man das?«
Ed gibt sich selbst drei Karten und wirft einen Blick darauf. Dann sieht er mich an. »Gut oder schlecht?«
Oh Gott. Ich habe keine Ahnung. Sein Gesicht ist völlig ausdruckslos. Ich betrachte seine glatte Stirn, die winzigen Fältchen um seine Augen, den Hauch eines Wochenendbarts. Ich suche nach Spuren. Er hat so ein Blitzen in den Augen, aber das könnte alles bedeuten.
»Keine Ahnung«, sage ich hilflos. »Ich entscheide mich für... gut?«
Ed ist amüsiert. »Sie haben Ihre Kräfte tatsächlich verloren. Sie sind ja fürchterlich.« Er zeigt mir drei niedrige Karten. »Jetzt sind Sie dran.« Wieder mischt er den Stapel, gibt drei Karten und sieht mir zu, wie ich sie aufnehme.
Ich habe die Kreuzdrei, die Herz vier und das Pikass! Ich betrachte sie, dann blicke ich mit meiner undurchschaubarsten Miene auf.
»Entspannen Sie sich«, sagt Ed. »Nicht lachen.«
Nachdem er das gesagt hat, spüre ich natürlich, wie mein Mund zuckt.
»Sie haben ein schlimmes Pokerface«, sagt Ed. »Wissen Sie das?«
»Sie wollen mich nur ablenken!« Ich wackle etwas mit meinem Mund herum, um das Lachen loszuwerden. »Also, gut. Was habe ich?«
Eds braune Augen sehen mich an. Beide sitzen wir ganz still und schweigen. Nach ein paar Sekunden kriege ich so ein flaues Gefühl im Bauch. Das fühlt sich... komisch an. Zu intim. Als könnte er mehr von mir sehen, als er sollte. Ich tue so, als müsste ich husten, löse den Moment auf und wende mich ab. Ich nehme einen Schluck Wein und sehe, dass auch Ed von seinem Wein trinkt.
»Sie haben eine hohe Karte, wahrscheinlich ein Ass«, sagt er nüchtern. »Und zwei niedrige.«
»Nein!« Ich lege die Karten hin. »Woher wissen Sie das?«
»Ihnen sind fast die Augen ausgefallen, als Sie das Ass bekommen haben.« Ed scheint sich zu amüsieren. »Es war nicht zu übersehen. Ungefähr wie ›Oh, wow! Eine hohe Karte!‹ Dann haben Sie nach links und rechts geschaut, als hätten Sie sich verraten. Dann haben Sie die hohe Karte mit der Hand verdeckt und mir einen schrägen Blick zugeworfen.« Jetzt fängt er an zu lachen. »Erinnern Sie mich daran, Ihnen in nächster Zeit keine Staatsgeheimnisse anzuvertrauen.«
Ich kann es nicht fassen. Ich dachte, ich wäre absolut undurchschaubar.
»Aber mal ehrlich.« Ed mischt die Karten neu. »Ihr Trick mit dem Gedankenlesen. Er basiert doch auf der Analyse von Verhaltensmerkmalen, oder?«
»Ah... das stimmt«, sage ich vorsichtig.
»Das können Sie nicht verlernt haben. Entweder Sie kennen sich damit aus oder nicht. Also, was ist los, Lara? Was steckt dahinter?«
Aufmerksam beugt er sich vor und wartet auf Antwort. Ich bin etwas aus dem Konzept. Derart zielstrebige Aufmerksamkeit bin ich nicht gewohnt. Wäre er Josh, könnte ich ihn leicht abspeisen. Josh nahm immer alles für bare Münze. Er hätte gesagt: »Okay, Baby«. Ich wäre schnell zum nächsten Thema übergegangen, und er hätte es weder hinterfragt, noch je wieder einen Gedanken daran verschwendet...
Weil Josh sich nie wirklich für mich interessiert hat.
Es trifft mich wie eine kalte Dusche. Eine endgültige, beschämende Einsicht, die sich wahr anfühlt und auch so klingt. Die ganze Zeit, die wir zusammen waren, hat Josh mich nie in Frage gestellt, mir nie das Leben schwer gemacht, konnte sich kaum an Details meines Lebens erinnern. Ich dachte, er sei eben einfach so locker
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