Charlston Girl
und entspannt. Ich habe ihn dafür geliebt. Ich habe es als Vorteil gesehen. Aber jetzt verstehe ich es besser. In Wahrheit war er nur so locker, weil er im Grunde kein Interesse hatte. Nicht an mir. Jedenfalls nicht genug.
Mir ist, als erwachte ich endlich aus einer Trance. Ich war so sehr damit beschäftigt, ihm hinterherzulaufen, so verzweifelt, so sehr meiner Sache sicher, dass ich gar nicht mitbekommen habe, wem ich da hinterherlaufe. Ich habe mir nie die Frage gestellt, ob er eigentlich der Richtige war. Ich war ein solcher Idiot.
Ich blicke auf und sehe, dass Eds dunkle, kluge Augen mich noch immer aufmerksam mustern. Und unwillkürlich empfinde ich ein merkwürdiges Hochgefühl, weil er, obwohl er mich kaum kennt, mehr über mich wissen möchte. Ich sehe es ihm an: Er fragt nicht nur so. Er will es wirklich wissen.
Leider kann ich es ihm nicht sagen. Unmöglich.
»Das ist... ziemlich schwierig zu erklären. Ziemlich kompliziert.« Ich trinke aus, stopfe mir den letzten Bissen Kuchen in den Mund und strahle Ed an, um ihn abzulenken. »Kommen Sie! Sehen wir uns das London Eye an!«
Als wir auf der South Bank ankommen, drängen sich dort die sonntagnachmittäglichen Touristen, Straßenmusikanten, Bücherstände und diverse lebende Statuen, die mir immer etwas unheimlich sind. Das London Eye dreht sich langsam wie ein gewaltiges Riesenrad, und in jeder durchsichtigen Gondel kann ich Leute sehen, die auf uns herabblicken. Ich bin ganz aufgeregt. Ich war bis jetzt erst einmal im London Eye, und das war ein Firmenausflug mit reichlich unausstehlichen Besoffenen.
Eine Jazzband spielt vor einer Menge von Zuhörern einen alten Song aus den Zwanzigern, und als wir daran vorbeikommen, sehe ich Ed unvermittelt an. Er legt ein paar Charleston-Schritte hin, und ich zwirble meine Perlenkette in seine Richtung.
»Sehr gut!«, sagt ein bärtiger Mann mit Hut, der mit einem Spendeneimer auf uns zu kommt. »Interessieren Sie sich für Jazz?«
»Mehr oder weniger«, sage ich, während ich in meiner Tasche nach Kleingeld wühle.
»Wir interessieren uns für die Zwanziger Jahre«, sagt Ed und zwinkert mir zu. »Nur für die Zwanziger, stimmt‘s, Lara?«
»Wir veranstalten nächste Woche ein Open-Air-Jazzkonzert in den Jubilee Gardens«, sagt der Mann begeistert. »Möchten Sie Tickets? Zehn Prozent Rabatt, wenn Sie sie jetzt kaufen.«
»Klar«, sagt Ed nach einem Blick in meine Richtung. »Warum nicht?«
Er gibt dem Mann etwas Geld, nimmt die Tickets, und wir gehen weiter.
»Also«, sagt Ed nach einer Weile. »Wir könnten zu diesem Jazzding gehen... zusammen. Wenn Sie wollen.«
»Ah... klar. Gerne. Ich bin dabei.«
Er gibt mir eins von den Tickets, und etwas unbeholfen stecke ich es in meine Tasche. Schweigend gehe ich ein Stück, versuche mir zu erklären, was da eben passiert ist. Fragt er mich, ob ich mit ihm ausgehe? Oder ist das nur ein Anhängsel unserer Besichtigungstour? Oder... was? Was tun wir hier?
Ich denke mir, dass Ed mehr oder weniger dasselbe denkt, denn als wir uns in die Schlange vor dem Eye einreihen, sieht er mich plötzlich so fragend an.
»Hey, Lara. Verraten Sie mir mal was.«
»Ah... okay.« Augenblicklich werde ich nervös. Er wird mich wieder fragen, ob ich übersinnliche Kräfte besitze.
»Wieso sind Sie in das Meeting reingeplatzt?« Seine Stirn knittert sich amüsiert. »Wieso haben Sie mich gefragt, ob ich mit Ihnen ausgehen möchte?«
Das ist ja noch viel schlimmer. Was soll ich sagen?
»Das... ist eine gute Frage«, pariere ich. »Und... und ich habe auch eine an Sie. Wieso sind Sie mitgekommen? Sie hätten mir auch einen Korb geben können.«
»Ich weiß.« Ed wirkt ratlos. »Möchten Sie die Wahrheit wissen? Ich war wie umnebelt. Ich kann meine eigenen Gedankengänge nicht mehr nachvollziehen. Eine fremde Frau erscheint in meinem Büro. Im nächsten Augenblick bin ich mit ihr verabredet.« Gespannt wendet er sich zu mir um. »Kommen Sie! Sie müssen doch einen Grund gehabt haben. Hatten Sie mich da irgendwo schon mal gesehen, oder was?«
Leise Hoffnung spricht aus seiner Stimme. Als hoffte er, etwas zu hören, was ihm den Tag versüßen könnte. Plötzlich plagt mich ein schrecklich schlechtes Gewissen. Er hat keine Ahnung, was wirklich dahintersteckt.
»Es war... eine Wette mit einer Freundin.« Ich starre über seine Schulter hinweg. »Ich weiß nicht, wieso ich es getan habe.«
»Schön.« Seine Stimme klingt so entspannt wie vorher. »Es war also eine spontane Wette.
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