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Charlston Girl

Charlston Girl

Titel: Charlston Girl Kostenlos Bücher Online Lesen
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diesem Gebäude geklopft und auf der Schwelle gerufen: »Ich suche meine Freundin Sadie!«; laut genug, dass sie es hören konnte. Ich war im Flashlight Club und habe mich unter den Leuten auf der Tanzfläche umgesehen. Doch da war sie auch nicht.
    Gestern war ich bei Edna und habe mir eine Geschichte ausgedacht, dass meine Katze weggelaufen ist, was mit sich brachte, dass wir beide im ganzen Haus herumliefen und »Sadie? Mietzmietzmietz!« gerufen haben. Aber wir bekamen keine Antwort. Edna war echt nett und hat versprochen, sich bei mir zu melden, wenn sie irgendwo einen entlaufenen Tiger herumstreunen sieht. Aber das nützt mir nicht viel.
    Wie sich herausstellt, ist es ganz schön nervig, einen Geist zu suchen. Man kann ihn nicht sehen. Man kann ihn nicht hören. Man kann kein Foto mit der Überschrift »Gesucht: Geist« an einen Baum pinnen. Man kann niemanden fragen: »Haben Sie meine Freundin, das Gespenst, gesehen? Sieht aus wie ein Flapper, schrille Stimme, irgend ´ne Ahnung?«
    Jetzt stehe ich im British Film Institute. Es läuft ein alter Schwarzweißfilm, und ich sitze ganz hinten und suche die dunklen Reihen der Köpfe ab. Aber es nützt nichts. Wie soll ich im Dunkeln jemanden finden?
    Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen, schleiche den Gang hinunter, ziehe den Kopf ein, suche rechts und links die schwach beleuchteten Profile ab.
    »Sadie?«, zische ich so diskret wie möglich.
    »Schscht!«, macht jemand.
    »Sadie, bist du da?«, flüstere ich in die nächste Reihe. »Sadie?«
    »Ruhe!«
    Oh Gott. Das wird nie was. Da gibt es nur eins. Ich nehme all meinen Mut zusammen, richte mich auf, hole tief Luft und rufe so laut ich kann.
    »Sadie! Hier ist Lara!«
    »Schschscht!«
    »Wenn du hier bist, sag mir bitte Bescheid! Ich weiß, du bist verletzt, und es tut mir leid, und ich möchte, dass wir wieder Freunde sind und...«
    »Ruhe! Wer ist das? Seien Sie still! Es folgt eine La-Ola-Welle von Köpfen, die sich schimpfend zu mir umwenden. Doch von Sadie bekomme ich keine Antwort.
    »Entschuldigung?« Ein Platzanweiser ist gekommen. »Ich muss Sie leider bitten zu gehen.«
    »Okay. Tut mir leid. Ich gehe.« Ich folge dem Mann zum Ausgang, dann mache ich abrupt kehrt und wage einen letzten Versuch. »Sadie? Sadie?«
    »Seien Sie still!«, bellt der Platzanweiser wütend. »Das hier ist ein Kino!«
    Verzweifelt spähe ich ins Dunkel, sehe aber nichts von ihren blassen, dünnen Ärmchen. Es klackern keine Perlen, und es wippen auch keine Federn zwischen den Köpfen.
    Der Platzanweiser eskortiert mich aus dem Filmmuseum, verwarnt mich eindringlich und hält mir auf dem ganzen Weg eine Standpauke, dann lässt er mich auf dem Gehweg stehen. Ich fühle mich wie ein Hund, den man mit einem Tritt vor die Tür gesetzt hat.
    Unglücklich trotte ich los, ziehe meine Jacke über. Ich möchte eine Tasse Kaffee und mich neu sortieren. Obwohl, wenn ich ehrlich sein soll, gehen mir langsam die Ideen aus. Als ich zum Fluss hinunterlaufe, sehe ich das London Eye, das dort in den Himmel aufragt und fröhlich seine Runden dreht, als sei nichts gewesen. Mutlos wende ich mich ab. Ich will das London Eye nicht sehen. Ich möchte an diesen Tag nicht erinnert werden. Sieht mir ähnlich: Ich suche mir für solch einen schmerzlich peinlichen Moment Londons berühmtesten Ausblick aus. Wieso konnte ich keinen unauffälligeren, abgelegenen Ort wählen, den ich besser hätte meiden können?
    Ich gehe in ein Café, bestelle mir einen doppelten Cappuccino und versinke in einem Sessel. Langsam zieht sie mich runter, diese endlose Sucherei. Das Adrenalin, das mich anfangs getrieben hat, ist mit der Zeit verflogen. Was ist, wenn ich sie nicht wiederfinde?
    Aber so darf ich nicht denken. Ich muss weitermachen. Zum Teil, weil ich mich weigere, mir mein Scheitern einzugestehen. Zum Teil, weil ich mir langsam Sorgen um Sadie mache, je länger sie weg ist. Und zum Teil, weil ich mich - wenn ich ehrlich bin - daran festhalte. Solange ich nach Sadie suche, muss der Rest meines Lebens warten. Ich muss mich nicht fragen, was mit meinem Job wird. Oder was ich meinen Eltern erzählen soll. Oder wie ich so blöd sein konnte, was Josh angeht.
    Oder die Sache mit Ed. Ich rege mich jedes Mal nur auf, wenn ich daran denke. Also ... tue ich es nicht. Ich konzentriere mich auf Sadie, meinen Heiligen Gral. Ich weiß, dass es albern ist, aber ich habe das Gefühl, als würde sich alles andere von selbst klären, wenn ich sie nur finden könnte.
    Forsch entfalte

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