Charlston Girl
Zum Beispiel, dass Mum krank ist. Oder dass er krank ist.
Und selbst wenn nicht - soll ich ihm wirklich von meinem Krach mit Natalie erzählen? Wie wird er reagieren, wenn er merkt, dass seine dusselige Tochter haufenweise Geld in ein Geschäft gesteckt hat, nur um dann gleich wieder auszusteigen? Der bloße Gedanke daran, wie er vor Enttäuschung sein Gesicht verziehen wird (mal wieder), lässt mich zurückschrecken. Er wird am Boden zerstört sein. Ich kann es ihm nicht erzählen. Noch nicht. Erst wenn ich weiß, wie es weitergehen soll.
Ich stoße die Tür auf und rieche den Duft von Kaffee, Zimt und frisch gebackenen Croissants. Die plüschig braunen Samtstühle und glänzenden Holztische sind in allen Lingtons auf der ganzen Welt gleich. Onkel Bill lächelt von einem riesigen Poster hinter dem Tresen herab. Lingtons- Becher, Kaffeetassen und Kaffeemühlen stehen auf einem Regal, alle im bekannten Schokoladenbraun mit Weiß. (Offenbar darf niemand dieses Schokoladenbraun verwenden. Es gehört Onkel Bill.)
»Lara!« Dad winkt mir. Er steht ganz vorn in der Schlange.
»Du kommst gerade richtig! Was möchtest du?«
Oh. Er sieht ganz munter aus. Vielleicht ist er gar nicht krank. »Hi.« Ich umarme ihn. »Ich nehme einen Lingtoncinno Karamell und einen Tuna Melt.«
Man bekommt bei Lingtons keinen Cappuccino. Man muss nach einem Lingtoncinno fragen.
Dad bestellt den Kaffee und das Essen, dann zückt er seine Gold VIP Card.
»Was ist das?«, fragt der Typ hinter dem Tresen mit argwöhnischem Blick. »So was habe ich ja noch nie gesehen.«
»Scannen Sie die Karte«, sagt Dad höflich. »Wow.« Der Typ macht große Augen, als etwas auf seinem Bildschirm piept. Er blickt zu Dad auf, ein wenig ehrfürchtig.
»Das macht dann... nichts.«
»Ich habe immer ein bisschen ein schlechtes Gewissen, diese Karte zu benutzen«, vertraut nur Dad an, als wir unsere Kaffees einsammeln und einen Tisch suchen. »Ich prelle den armen Bill um seinen rechtmäßigen Verdienst.«
Den armen Bill? Mein Herz krampft sich zusammen. Dad ist so gut. Er denkt an alle, nur nicht an sich.
»Das kann er sich bestimmt leisten.« Ich betrachte Onkel Bills Gesicht auf meinem Kaffeebecher.
»Bestimmt.« Dad lächelt und wirft einen Blick auf meine Jeans. »Du bist ja sehr leger angezogen, Lara! Ist das die neue Kleiderordnung bei euch im Büro?«
Scheiße. Das hatte ich gar nicht bedacht.
»Ehrlich gesagt... war ich bei einem Seminar«, improvisiere ich eilig. »Die wollten Freizeitkleidung. Es war ein Rollenspiel, so was in der Art.«
»Wie schön!«, sagt Dad so ermutigend, dass meine Wangen vor Schuldgefühlen in Flammen stehen. Er reißt ein Zuckertütchen auf und schüttet den Inhalt in seinen Kaffee. Dann rührt er um.
»Lara, ich möchte dir eine Frage stellen.«
»Klar.« Ich nicke ernst.
»Wie läuft dein Geschäft? Mal ehrlich?«
Oh Gott. Von all den Millionenmilliarden Fragen, die er stellen könnte...
»Na ja, weißt du... es geht... es geht gut.« Meine Stimme ist zwei Töne hochgerutscht. »Alles bestens! Wir haben ein paar richtig gute Klienten... und vor Kurzem haben wir sogar mit Macrosant einen Deal gemacht... und Natalie ist wieder da...«
»Wieder da?«, sagt Dad mit Interesse. »War sie weg?«
Das Problem mit dem Elternbelügen ist, dass man aufpassen muss, welche Lügen man ihnen schon aufgetischt hat.
»Sie hatte sich eine Weile rausgezogen.« Ich zwinge mich zu einem Lächeln. »Kein Problem.«
»Und du hast das Gefühl, du hast die richtige Entscheidung getroffen?« Dad sieht aus, als wäre es ihm wirklich wichtig. »Macht es dir Spaß?«
»Ja«, sage ich trübsinnig. »Es macht mir Spaß.«
»Hast du das Gefühl, das Geschäft hat eine goldene Zukunft?«
»Ja, richtig golden.« Ich starre den Tisch an. Die Sache mit dem Elternbelügen ist, dass man sich manchmal wünscht, man hätte es nicht getan. Manchmal möchte man einfach nur losheulen: »Dad, ich hab es versiiiiiiiebt! Was soll ich tuuuuuuun?«
»Und... worüber wolltest du mit mir sprechen?«, sage ich, um vom Thema wegzukommen.
»Egal.« Dad betrachtet mich mit liebevollem Blick. »Du hast meine Frage bereits beantwortet. Deine Geschäfte gehen gut. Du führst ein erfülltes Leben. Mehr muss ich nicht hören.«
»Was meinst du damit?« Ich starre ihn an, verdutzt. Dad schüttelt den Kopf und lächelt.
»Es gab da eine Gelegenheit, über die ich mit dir sprechen wollte. Aber ich möchte deiner neuen Firma nicht in die Quere kommen. Ich
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