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Charlston Girl

Charlston Girl

Titel: Charlston Girl Kostenlos Bücher Online Lesen
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jung, hatten Affären und Freunde und Partys und ein endloses Leben vor sich...
    Und wie ich da so stehe, geschieht etwas ganz Seltsames. Es ist, als könnte ich sie sehen , so wie sie damals waren. Ich kann sehen, wie die jungen Seelen begeistert aus ihren Körpern aufsteigen, ihr Alter abschütteln und miteinander tanzen. Sie alle tanzen Charleston, werfen übermütig die Beine. Ihre Haare sind dunkel und kräftig, die Glieder wieder gelenkig, und sie lachen, halten sich bei den Händen, werfen die Köpfe in den Nacken und haben einen Riesenspaß...
    Ich zwinkere. Die Vision ist verflogen. Ich sehe einen Raum voll regloser, alter Menschen.
    Ich sehe mir Ginny genauer an, aber sie steht nur da, lächelt freundlich und summt mit, wenn auch falsch.
    Noch immer spielt die Musik, hallt durchs ganze Haus. Sadie kann nicht hier sein. Sie hätte die Musik gehört und wäre gekommen, um nachzusehen, was los ist. Auch diese Spur ist kalt.
    »Jetzt weiß ich wieder, was ich Sie fragen wollte!« Plötzlich wendet sich Ginny zu mir um. »Haben Sie Sadies Kette eigentlich wiedergefunden? Die Sie gesucht hatten?«
    Die Kette. Seit Sadie weg ist, scheint das alles meilenweit hinter mir zu liegen.
    »Nein, leider nicht.« Ich versuche zu lächeln. »Dieses Mädchen in Paris sollte sie mir schicken, aber... ich hoffe, es klappt.«
    »Na, dann muss man wohl die Daumen drücken!«, sagt Ginny.
    »Daumen drücken!« Ich nicke. »Wie dem auch sei. Ich sollte lieber mal los. Ich wollte nur Hallo sagen.«
    »Es war schön, Sie zu sehen! Ich bringe Sie zur Tür.« Als wir durch den Eingangsbereich schreiten, sehe ich immer noch die tanzenden Alten vor mir, wie sie jung und wieder glücklich sind. Ich werde das Bild nicht los.
    »Ginny«, sage ich spontan, als sie die große Haustür öffnet. »Sie waren bestimmt schon oft dabei, wenn alte Menschen... von uns gegangen sind.«
    »Ja, das war ich«, sagt sie nüchtern. »Das gehört zu meinem Beruf.«
    »Glauben Sie an...« Ich räuspere mich verlegen. »An ein Leben nach dem Tod? Glauben Sie daran, dass wir als Geister wiederkommen?«
    Mein Handy schrillt in meiner Tasche, bevor Ginny antworten kann, und sie nickt mir zu. »Gehen Sie ruhig ran.«
    Ich hole es heraus und sehe Dads Nummer auf dem Display. Oh Gott. Wieso ruft Dad an? Bestimmt hat er von irgendwem gehört, dass ich meinen Job los bin. Er ist bestimmt ganz aufgeregt und wird mich fragen, was ich denn jetzt machen will. Und ich kann nicht kneifen, weil Ginny neben mir steht.
    »Hi, Dad«, sage ich eilig. »Ich bin gerade beschäftigt. Könntest du kurz warten?« Ich drücke eine Taste und blicke wieder zu Ginny auf.
    »Sie fragen mich, ob ich an Geister glaube?«, sagt sie. »Äh... ja. So ungefähr.«
    »Ehrlich? Nein, tue ich nicht. Ich glaube, es passiert alles nur im Kopf, Lara. Ich glaube, die Menschen möchten es gern glauben. Aber ich kann verstehen, dass es denen, die einen geliebten Menschen verloren haben, Trost spendet.«
    »Natürlich.« Ich nicke und lasse es einwirken. »Na dann... Auf Wiedersehen. Und danke.«
    Die Tür geht zu, und ich bin schon halb wieder auf dem Bürgersteig, als mir Dad einfällt. Ich nehme mein Handy und drücke auf die Taste.
    »Hey, Dad! Entschuldige bitte.«
    »Keine Sorge, mein Schatz! Tut mir leid, dass ich dich bei der Arbeit störe.«
    Arbeit? Also weiß er es nicht.
    »Ach so!«, sage ich hastig und kreuze meine Finger. »Arbeit. Ja. Absolut. Arbeit! Wo sollte ich auch sonst sein?« Ich stoße ein schrilles Lachen aus. »Obwohl ich im Moment zufällig gar nicht im Büro bin...«
    »Ah. Nun, dann ist das jetzt vielleicht perfektes Timing.« Dad zögert. »Ich weiß, es klingt vielleicht komisch. Aber ich hab da was, worüber ich unbedingt mit dir sprechen muss, und es ist ziemlich wichtig. Können wir uns treffen?«

22
    Das ist seltsam. Ich bin mir wirklich nicht sicher, was los ist.
    Wir haben uns im Lingtons an der Oxford Street verabredet, weil es zentral liegt und wir es beide kennen. Und außerdem, weil Dad immer Lingtons vorschlägt, wenn wir uns treffen. Er ist Onkel Bill gegenüber unendlich loyal, und außerdem hat er eine Lingtons Gold VIP Card , mit der alle Speisen und Getränke umsonst sind, überall, jederzeit. (Ich nicht. Ich habe nur Friends & Family. Fünfzig Prozent Rabatt. Nicht dass ich mich beklagen möchte.)
    Als ich draußen vor der wohlbekannten Fassade stehe, schokoladenbraun und weiß, mache ich mir Sorgen. Vielleicht bringt Dad mir eine schlechte Nachricht.

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