Charlston Girl
Pfad entlang schleicht, mit ihren Schuhen in der Hand und dem Mondlicht in den Augen.
Es ist ein stimmungsvoller Ort, mit der alten Steinmauer und dem hohen Gras und den schattigen Flecken im Garten. Hier scheint es nichts Modernes zu geben. Bestimmt sieht es noch aus wie damals. Ich frage mich...
Nein. Halt. Ich habe aufgegeben. Ich bin nicht mehr auf der Suche.
Aber vielleicht...
Nein. Sie wäre nicht hier. Bestimmt nicht. Sie hat doch ihren Stolz. Sie hat es selbst gesagt, sie würde nie jemandem nachlaufen. Nie im Leben würde sie sich im Elternhaus eines Exfreundes herumtreiben. Besonders nicht eines Exfreundes, der ihr das Herz gebrochen und ihr nie geschrieben hat. Es ist eine schwachsinnige Idee.
Schon öffnet meine Hand das Tor.
Das ist der allerallerallerletzte Ort, an dem ich suche.
Ich knirsche über Kies, versuche mir eine Ausrede einfallen zu lassen, was ich hier eigentlich treibe. Nicht schon wieder ein entlaufener Hund. Vielleicht recherchiere ich über alte Pfarrhäuser? Vielleicht studiere ich Architektur? Ja. Ich schreibe ein Referat über »Religiöse Gebäude und ihre Bewohner«. In Birkbeck.
Nein. Harvard.
Am Eingang hebe ich die Hand, um die alte Glocke zu betätigen, als ich merke, dass die Haustür nur angelehnt ist. Vielleicht kann ich mich hineinschleichen, ohne dass jemand mich bemerkt. Vorsichtig drücke ich die Tür auf und finde mich in einem Flur mit holzgetäfelten Wänden und altem Parkett wieder. Zu meiner Überraschung steht dort eine Frau mit mausgrauem Bob und Shetland-Pullover hinter einem Tisch mit Büchern und Broschüren.
»Hallo.« Sie lächelt mich an, als würde sie sich gar nicht über mein Erscheinen wundern. »Möchten Sie das Haus besichtigen?«
Besichtigen?
Umso besser! Ich kann mich umsehen und muss mir nicht mal eine Geschichte ausdenken. Ich wusste gar nicht, dass man heutzutage Eintritt zahlen muss, um ein Pfarrhaus zu besichtigen, aber warum auch nicht!
»Ah... ja, bitte. Was kostet es?«
»Das macht fünf Pfund.«
Fünf Pfund ? Nur um mir ein Pfarrhaus anzusehen? Alle Wetter.
»Hier ist ein kleiner Führer für den Rundgang.« Sie reicht mir eine Broschüre, aber ich sehe sie mir gar nicht an. Ich interessiere mich nicht sonderlich für dieses Haus. Eilig lasse ich die Frau hinter mir, betrete ein Wohnzimmer mit altmodischen Sofas und Teppichen und sehe mich dort um.
»Sadie?«, flüstere ich. »Sadie, bist du hier?«
»Hier hat Malory vermutlich seine Abende verbracht.« Die Stimme der Frau erschreckt mich. Mir war nicht klar, dass sie mir gefolgt ist.
»Ach so.« Ich habe keine Ahnung, wovon sie redet. »Hübsch. Ich gehe mal eben hier durch...« Ich trete in das angrenzende Esszimmer, das wie ein Filmset für einen Historienfilm aussieht. »Sadie?«
»Hier hat die Familie natürlich gespeist...«
Himmel, Arsch. Man sollte sich Pfarrhäuser ansehen dürfen, ohne dass man gleich verfolgt wird. Ich trete ans Fenster und werfe einen Blick auf den Garten, in dem die Familie, die ich vorhin gesehen habe, herumspaziert. Von Sadie keine Spur.
Es war eine blödsinnige Idee. Sie ist nicht hier. Weshalb sollte sie sich auch im Elternhaus des Mannes herumtreiben, der ihr das Herz gebrochen hat? Ich drehe mich um und remple fast die Frau an, die direkt hinter mir steht.
»Sie sind sicher eine Bewunderin seines Werkes, nicht?« Sie lächelt.
Seines Werkes? Wessen Werkes?
»Ah... ja«, sage ich eilig. »Natürlich. Sehr sogar. Sehr , sehr.«
Jetzt erst werfe ich einen Blick auf die Broschüre in meiner Hand. Dort steht: Willkommen im Cecil-Malory-Haus , und darunter ein Gemälde von irgendwelchen Klippen.
Cecil Malory. Das ist doch ein berühmter Maler, oder? Ich meine, nicht wie Picasso, aber ich habe definitiv schon von ihm gehört. Zum ersten Mal rührt sich bei mir leises Interesse.
»Hier hat Cecil Malory also gelebt?«, frage ich.
»Selbstverständlich.« Sie scheint sich über die Frage zu wundern. »Deshalb wurde das Haus doch in ein Museum umgewandelt. Er lebte hier bis 1927.«
1927? Jetzt ist mein Interesse endgültig geweckt. Wenn er 1927 hier gewohnt hat, müsste Sadie ihn gekannt haben. Die beiden haben sich bestimmt ab und zu getroffen.
»War er mit dem Sohn des Pfarrers befreundet?‘‘ Einem gewissen Stephen Nettieton?«
»Aber meine Liebe...« Die Frau mustert mich, als könnte sie die Frage gar nicht fassen. »Stephen Nettieton war Cecil Malory. Das wissen Sie doch sicher. Seine Arbeiten hat er nie mit dem Familiennamen
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