Charlston Girl
dem Kamin.
»Da wären wir«, sagt sie freundlich. »Unser ganzer Stolz.«
Ich kriege kein Wort heraus. Mir schnürt sich die Kehle zu. Reglos stehe ich da, klammere mich an das Buch und glotze.
Da ist sie. Im verzierten Goldrahmen. Blickt auf mich herab, als gehöre ihr die Welt - Sadie.
Noch nie habe ich sie so strahlend gesehen wie auf diesem Bild. Noch nie habe ich sie so entspannt gesehen. So glücklich. So schön. Ihre Augen sind riesengroß und dunkel, leuchtend vor Liebe.
Sie liegt auf einer Chaiselongue, nackt, bis auf ein dünnes Tuch um Schultern und Hüften, das sie nur halb verhüllt. Ihr Bubikopf zeigt, wie lang ihr eleganter Hals ist. Sie trägt glitzernde Ohrringe. Und um ihren Hals, zwischen den blassen, kaum verhüllten Brüsten, um einen Finger gewickelt und zu einem glitzernden Perlenhaufen zusammengedreht - die Libellenkette.
Plötzlich höre ich sie wieder: Ich war glücklich, wenn ich sie trug... ich fand mich schön, ich fühlte mich wie eine Göttin...
Jetzt begreife ich. Deshalb wollte sie die Kette. Deshalb hat sie ihr so viel bedeutet. Damals war sie glücklich. Egal, was vorher oder nachher war. Egal, ob ihr das Herz gebrochen wurde. In diesem einen Augenblick war alles perfekt.
»Das ist echt toll.« Ich wische mir eine Träne aus dem Auge.
»Ist sie nicht wunderbar?« Die Frau sieht mich zufrieden an. Offenbar verhalte ich mich endlich wie eine echte Kunstliebhaberin. »Details und Strich sind exquisit. Jede Perle in der Kette ist ein kleines Meisterwerk. Mit solcher Liebe gemalt.« Voller Zuneigung betrachtet sie das Porträt. »Und natürlich deshalb so berühmt, weil es das einzige ist.«
»Was meinen Sie?«, sage ich verdutzt. »Cecil Malory hat doch viele Bilder gemalt, oder?«
»In der Tat. Aber er hat kein anderes Porträt gemalt. Nur dieses. Er hat sich geweigert, sein Leben lang. Man hat ihn in Frankreich oft genug darum gebeten, als er dort bekannter wurde, aber stets hat er geantwortet ›J‘ai peint celle que j‘ai voulu peindre‹.« Die Frau macht eine Kunstpause. »Ich habe die eine gemalt, die ich malen wollte.«
Sprachlos starre ich sie an, und mein Kopf sprüht Funken, als ich das alles wirken lasse. Er hat nur Sadie gemalt? In seinem ganzen Leben? Er hatte die eine gemalt, die er malen wollte?
»Und in dieser Perle...« Mit Kennerblick tritt die Frau an das Gemälde. »Genau in dieser Perle hier steckt eine kleine Überraschung. Ein kleines Geheimnis, wenn Sie so wollen.« Sie winkt mich heran. »Können Sie es sehen?«
Gehorsam versuche ich, die Perle genauer zu betrachten. Sie sieht aus wie eine ganz normale Perle.
»Es ist fast unmöglich, aber in der Vergrößerung... hier.« Sie zückt ein Stück mattiertes Fotopapier. Darauf ist die Perle stark vergrößert abgebildet. Als ich sie mir näher ansehe, erkenne ich ein Gesicht. Das Gesicht eines Mannes.
»Ist das...?« Ich blicke auf.
»Malory.« Sie nickt erfreut. »Sein Spiegelbild in der Kette. Er hat sich auf diesem Bild selbst verewigt. Ein winzig kleines, verstecktes Porträt. Man hat es erst vor zehn Jahren entdeckt. Wie eine Geheimbotschaft.«
»Darf ich mal sehen?«
Mit zitternden Händen nehme ich das Blatt Papier und starre ihn an. Da ist er. Auf dem Bild, in der Kette. Ein Teil von ihr. Er hat nie ein anderes Porträt geschaffen. Er hatte die eine gemalt, die er malen wollte.
Er hat Sadie doch geliebt. Das hat er. Ich spüre es.
Ich blicke zu dem Gemälde auf, und mir kommen die Tränen. Die Frau hat recht. Er hat sie mit Liebe gemalt. Man sieht es in jedem Pinselstrich.
»Es ist... unglaublich.« Ich schlucke. »Gibt es... noch mehr Bücher über ihn?« Ich möchte, dass diese Frau weggeht. Ich warte, bis ihre Schritte im Korridor verhallen, dann blicke ich auf.
»Sadie!«, rufe ich verzweifelt. »Sadie, kannst du mich hören? Ich hab das Bild gefunden! Es ist wunderschön. Du bist wunderschön. Du hängst im Museum! Und weißt du was? Stephen hat nur dich gemalt. In seinem ganzen Leben nur dich. Du warst die Einzige. Er hat sich in deiner Kette verewigt. Er hat dich geliebt. Sadie, ich weiß, dass er dich geliebt hat. Ich wünschte so sehr, du könntest es sehen ...«
Atemlos schweige ich, aber alles bleibt still. Sie hört mich nicht, wo sie auch sein mag. Als ich Schritte höre, drehe ich mich eilig um und setze ein Lächeln auf. Die Frau reicht mir einen Stapel Bücher.
»Das ist alles, was wir auf Lager haben. Studieren Sie Kunstgeschichte oder interessieren Sie sich
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