Charlston Girl
gezeichnet.«
Stephen war Cecil Malory?
Stephen... ist Cecil Malory?
Mir fehlen die Worte.
»Später hat er seinen Namen offiziell geändert«, fährt sie fort. »Aus Protest gegen seine Eltern, wie man vermutet. Nachdem er nach Frankreich gegangen war...«
Ich höre nur halb zu. Meine Gedanken wirbeln durcheinander. Stephen war ein berühmter Maler. Das ist doch merkwürdig. Sadie hat mir nie erzählt, dass er berühmt war. Sie hätte doch bestimmt wie verrückt damit angegeben. Wusste sie denn nichts davon?
»... und hat sich vor seinem tragisch frühen Tod nie mehr mit ihnen versöhnt.« Die Frau endet mit feierlicher Stimme, dann lächelt sie. »Möchten Sie vielleicht die Schlafzimmer sehen?«
»Nein. Ich meine... Sie müssen mich entschuldigen.« Ich wische meine Stirn. »Ich bin ganz... durcheinander.Wissen Sie, Steph-, ich meine Cecil Malory war mit meiner Großtante befreundet. Sie wohnte in diesem Dorf. Sie kannte ihn. Aber ich glaube, sie hatte keine Ahnung davon, dass er berühmt war.«
»Ah.« Die Frau nickt verständnisvoll. »Nun, zu seinen Lebzeiten war das auch nicht der Fall. Erst lange nach seinem Tod wuchs das Interesse an seinen Bildern, erst in Frankreich, dann auch in seiner Heimat. Da er so jung starb, hat er kein großes Werk hinterlassen können. Deshalb sind seine Bilder ja auch so gefragt und kostbar. In den Achtzigern schoss ihr Wert nur so in die Höhe. Da wurde Malory richtig berühmt.«
Die Achtziger. 1981 hatte Sadie einen Schlaganfall. Danach kam sie ins Pflegeheim. Niemand hat ihr etwas erzählt. Sie hatte keine Ahnung, was da draußen in der Welt vor sich ging.
Ich blicke auf und merke, dass mich die Frau so seltsam ansieht. Ich wette, sie würde mir am liebsten die fünf Pfund zurückgeben, um mich loszuwerden.
»Mh... entschuldigen Sie. Ich habe gerade überlegt, ob er wohl in einem Schuppen im Garten gearbeitet hat?«
»Ja.« Die Miene der Frau hellt sich auf. »Wenn es Sie interessiert... wir bieten eine Reihe von Büchern über Malory an...« Sie eilt hinaus und kommt mit einem schmalen Bändlein zurück. »Details über seine frühen Jahre sind rar gesät, da viele Gemeindeakten im Krieg verloren gegangen sind, und als man dann Recherchen anstellte, waren viele seiner Zeitgenossen längst verstorben. Allerdings gibt es ein paar hübsche Darstellungen seines Lebens in Frankreich, wo es mit seiner Landschaftsmalerei erst so richtig losging...« Sie reicht mir das Buch, auf dem vorn ein Seestück abgebildet ist.
»Danke.« Ich nehme es und blättere darin herum. Sofort stoße ich auf die Schwarzweißfotografie eines Mannes, der an einem Kliff sitzt und malt. Darunter steht »Ein seltenes Foto von Cecil Malory bei der Arbeit«. Ich begreife sofort, wieso Sadie mit ihm zusammen war. Er ist groß und kräftig, ein eher dunkler Typ mit schwarzen Augen. Sein Hemd ist zerrissen.
Mistkerl.
Wahrscheinlich hielt er sich für ein Genie. Wahrscheinlich dachte er, er sei zu gut für eine normale Beziehung. Obwohl er schon so lange tot ist, würde ich ihn am liebsten anschreien. Wie konnte er Sadie so schäbig behandeln? Wie konnte er nach Frankreich abhauen und sie einfach abhaken?
»Er war ein überragendes Talent.« Die Frau folgt meinem Blick. »Sein früher Tod war eine der großen Tragödien des 20. Jahrhunderts.«
»Na ja, vielleicht hatte er es nicht besser verdient.« Ich werfe ihr einen bissigen Blick zu. »Vielleicht hätte er netter zu seiner Freundin sein sollen. Haben Sie daran mal gedacht?«
Die Frau wirkt ratlos. Sie macht den Mund auf und wieder zu.
Ich blättere weiter, vorbei an Bildern vom Meer und noch mehr Klippen und der Zeichnung von einem Huhn... und plötzlich erstarre ich. Ein Auge starrt mich aus dem Buch an. Ein vergrößertes Detail eines Gemäldes. Nur ein Auge mit endlos langen Wimpern und einem frechen Funkeln.
Ich kenne dieses Auge.
»Entschuldigen Sie.« Ich bringe die Worte kaum heraus. »Was ist das?« Ich tippe auf das Buch. »Wer ist das? Wo kommt das her?«
»Meine Liebe...« Ich sehe, dass die Frau sich um Geduld bemüht. »Das müssen Sie doch wissen. Es ist ein Detail eines seiner berühmtesten Gemälde. Es hängt in unserer Bibliothek, wenn Sie es sehen möchten...«
»Ja.« Ich bin schon unterwegs. »Möchte ich. Bitte. Zeigen Sie es mir.«
Sie führt mich einen knarrenden Korridor entlang in einen dunklen, mit Teppichen ausgelegten Raum. Ich sehe Bücherregale an den Wänden, alte Ledersessel und ein großes Gemälde über
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