Charlston Girl
lässt die Beine baumeln. Obwohl, wenn ich recht hingucke, sitzt sie nicht darauf, sondern schwebt ein kleines Stück darüber. Als sie meine Verwunderung bemerkt, lässt sie sich genervt nach unten plumpsen und setzt sich so zurecht, dass es ausschaut, als sitze sie exakt auf dem Fensterbrett. Dann baumelt sie wieder mit den Beinen.
Sie existiert nur in meinem Kopf, sage ich mir. Seien wir doch mal vernünftig. Wenn mein eigenes Hirn sie ausgedacht hat, dann kann mein Hirn sie auch wieder loswerden.
Geh weg, denke ich, so laut ich kann, halte die Luft an und balle meine Fäuste.
Geh weg, geh weg, geh weg...
Sadie sieht zu mir herüber und kichert los.
»Du siehst komisch aus«, sagt sie. »Hast du Bauchweh?«
Eben will ich was erwidern, als die Tür aufgeht... und sich mein Magen ernstlich zusammenkrampft. Es ist ein Detective in Zivil, was ihn fast so Angst einflößend macht, als wäre er in Uniform. Oh Gott. Ich stecke echt in der Klemme.
»Lara.« Der Detective reicht mir die Hand. Er ist groß und breitschultrig, mit dunklem Haar und forscher Art. »Detective Inspector James.«
»Hi.« Meine Stimme quiekt vor Aufregung. »Nett, Sie kennenzulernen.«
»Also.« Er setzt sich geschäftsmäßig und zückt einen Stift.
»Man sagte mir, Sie hätten die Bestattung Ihrer Großtante verhindert.«
»Das stimmt.« Ich nicke mit aller Überzeugung, die ich aufbringen kann. »Ich glaube, an ihrem Tod war etwas verdächtig.«
Detective Inspector James macht sich eine Notiz, dann sieht er auf. »Warum?«
Leeren Blickes starre ich ihn an. Mein Herz rast. Ich weiß keine Antwort. Ich hätte mir schnell was überlegen sollen, statt zu plaudern. Ich bin ein Idiot.
»Na... finden Sie es denn nicht verdächtig?«, improvisiere ich schließlich. »Dass sie einfach so stirbt ? Ich meine, Menschen sterben doch nicht aus heiterem Himmel!«
Detective Inspector James betrachtet mich mit undurchschaubarer Miene. »Soweit ich weiß, war sie hundertfünf Jahre alt.«
»Na und?«, erwidere ich und werde mutiger. »Was hat das denn damit zu tun? Können nicht auch Hundertfünfjährige ermordet werden? Für so seniorenfeindlich hätte ich die Polizei nicht gehalten!«
Ein Flackern geht über Detective Inspector James‘ Gesicht, ob aus Arger oder Belustigung kann ich nicht sagen.
»Wer - glauben Sie - hat Ihre Großtante ermordet?«, fragt er.
»Es war...« Ich reibe an meiner Nase herum, um Zeit zu schinden. »Das ist... ziemlich... kompliziert...« Hilflos blicke ich zu Sadie auf.
»Du bist zu nichts zu gebrauchen!«, schreit sie. »Wenn sie dir glauben sollen, brauchst du eine Geschichte! Sie werden die Bestattung nicht länger aufschieben! Sag, es war das Pflegepersonal! Sag, du hast belauscht, wie sie den Plan geschmiedet haben.«
»Nein!«, rufe ich vor Schreck unwillkürlich.
Detective Inspector James betrachtet mich mit sonderbarer Miene und räuspert sich.
»Lara, haben Sie einen berechtigten Grund für Ihre Annahme, dass mit dem Tod Ihrer Großtante irgendwas nicht stimmt?«
»Sag, es war das Pflegepersonal!« Sadies Stimme kreischt mir ins Ohr wie eine rostige Bremse. »Sag es! Sag es! SAG ES!«
»Es war das Pflegepersonal«, platze ich verzweifelt heraus. »Glaub ich.«
»Aufgrund welcher Tatsache sagen Sie das?«
Detective Inspector James‘ Stimme ist ruhig, doch seine Augen sind hellwach. Vor ihm schwebt Sadie, starrt mich düster an und rudert mit den Armen, als wollte sie mir die Worte entlocken. Der Anblick macht mich wahnsinnig.
»Ich ... äh... ich habe sie im Pub belauscht. Irgendwas von Gift und Versicherung. Damals habe ich mir nichts weiter dabei gedacht.« Ich schlucke ängstlich. »Und im nächsten Moment ist plötzlich meine Großtante tot.«
Plötzlich merke ich, dass der Plot komplett aus einer Seifenoper stammt, die ich letzten Monat gesehen habe, als ich krank war.
Detective Inspector James betrachtet mich mit bohrendem Blick. »Das würden Sie auch beeiden.«
Oh Gott. »Beeiden« ist eins von diesen beklemmenden Worten wie »Steuerprüfung« und »Lumbalpunktion«. Ich kreuze die Finger unterm Tisch und schlucke. »Jaaa.«
»Haben Sie diese Leute gesehen?«
»Nein.«
»Wie heißt das Pflegeheim? Wo befindet es sich?«
Starr erwidere ich seinen Blick. Ich habe keine Ahnung. Ich blicke zu Sadie auf, die ihre Augen geschlossen hat, als erinnere sie sich an irgendwas vor langer, langer Zeit.
»Fairside «, sagt sie langsam. »In Potters Bar.«
»Fairside. Potters Bar«,
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