Charlston Girl
sie an. »Du denn?«
»Öfter!«, sagt sie lässig. »Das erste Mal, weil ich nachts bei uns im Dorf im Brunnenbecken getanzt habe. Es war einfach zu lustig.« Sie fängt an zu kichern. »Weißt du, wir hatten ein paar Spielzeughandschellen, die zu einem Faschingskostüm gehörten, und als mich der Polizist aus dem Brunnen holte, hat meine Freundin Bunty sie ihm aus Spaß angelegt. Er wurde fuchsteufelswild!«
Mittlerweile hat sie einen Lachkrampf. Mein Gott, geht sie mir auf den Geist!
»Das war bestimmt zum Schreien.« Ich werfe ihr einen vernichtenden Blick zu. »Aber ich persönlich würde lieber nicht ins Gefängnis gehen und mir da eine fiese Krankheit holen, danke der Nachfrage.«
»Tja, das brauchtest du auch nicht, wenn du eine bessere Geschichte hättest!« Sie hört auf zu lachen. »Ich hab noch nie so eine Trulla erlebt! Du warst weder glaubwürdig noch passte das Ganze zusammen. Angesichts dieser Tatsache werden sie die Ermittlungen wohl kaum fortsetzen. Uns bleibt nicht viel Zeit!«
»Zeit wofür?«
»Zeit, um meine Kette zu finden, natürlich.«
Mit dumpfem Schlag sinkt mein Kopf auf die Tischplatte.
Sie gibt nie auf, oder?
»Hör mal«, sage ich schließlich und hebe meinen Kopf ein Stück. »Wieso brauchst du diese Kette denn so dringend? Warum gerade diese Kette? War sie ein Geschenk oder was?«
Einen Moment schweigt sie mit entrücktem Blick. Nur ihre Beine baumeln rhythmisch hin und her.
»Ich habe sie von meinen Eltern zum einundzwanzigsten Geburtstag bekommen«, sagt sie schließlich. »Ich war so glücklich...«
»Das ist nett«, sage ich. »Aber...«
»Ich hatte sie mein Leben lang. Ich habe sie mein Leben lang getragen.« Plötzlich klingt sie ganz aufgeregt. »Was auch verloren ging - diese Kette habe ich immer behalten. Sie ist das Wichtigste, was ich je besessen habe. Ich brauche sie.«
Sie hält den Kopf gesenkt, so dass ich nur ihr Kinn erkennen kann. Sie ist so dünn und blass wie eine Blume, die ihre Blüte hängen lässt. Plötzlich habe ich Mitleid mit ihr und will schon sagen: »Bestimmt finden wir deine Kette wieder«, als sie ausgiebig gähnt, die dürren Ärmchen über ihrem Kopf streckt und sagt:
»Hier ist es mir zu langweilig. Ich wünschte, wir könnten in einen Nachtclub gehen.«
Wütend sehe ich sie an. Mein Mitleid ist verflogen. Zeigt sie so ihre Dankbarkeit?
»Wenn du dich langweilst«, sage ich, »können wir ja auch deine Bestattung zu Ende bringen.«
Sadie schlägt die Hand vor den Mund und stöhnt auf. »Das würdest du nicht tun!«
»Wer weiß...«
Es klopft an der Tür, was uns unterbricht, und eine vergnügt wirkende Frau mit dunkler Bluse und dunkler Hose steckt ihren Kopf herein. »Lara Lington?«
Eine Stunde später habe ich meine so genannte »Aussage« gemacht. Es war die traumatischste Erfahrung meines Lebens. Was für ein Kuddelmuddel.
Erst hatte ich den Namen des Pflegeheims vergessen. Dann waren alle Zeiten falsch, und ich musste die Polizistin davon überzeugen, dass ich für eine halbe Meile nur fünf Minuten gebraucht hatte. Am Ende habe ich ihr erzählt, ich sei gut im Training und wolle professionelle Geherin werden. Beim bloßen Gedanken daran zieht sich mir alles zusammen, und ich fange an zu schwitzen. Das hat sie mir im Leben nicht geglaubt. Ich meine, sehe ich aus wie eine Profi-Geherin?
Dann habe ich gesagt, bevor ich im Pub war, hätte ich meine Freundin Linda besucht. Ich habe nicht mal eine Freundin namens Linda. Ich wollte nur einfach keine echten Freunde mit reinziehen. Sie wollte Lindas Nachnamen wissen, und ich platzte mit »Davies« heraus, bevor ich es verhindern konnte.
Das stammte natürlich aus der obersten Zeile ihres Formulars. Sie hieß Detective Constable Davies.
Wenigstens habe ich nicht »Keyser Suze« gesagt.
Eins muss ich der Polizistin lassen: Sie hat nicht mit der Wimper gezuckt. Und auch nichts davon gesagt, ob sie den Fall weiterverfolgen oder nicht. Sie hat sich nur höflich bei mir bedankt und mir eine Taxinummer rausgesucht.
Wahrscheinlich komme ich jetzt wegen Meineids ins Gefängnis. Na, super. Ich bin begeistert.
Wütend mustere ich Sadie, die der Länge nach auf dem Schreibtisch liegt und an die Zimmerdecke starrt. Es war keine große Hilfe, dass ich sie die ganze Zeit im Ohr hatte, dass sie mich unablässig korrigierte und Vorschläge machte und darüber schwadronierte, wie seinerzeit zwei Polizisten versucht hatten, sie und Bunty aufzuhalten, als sie »mit ihren Motorwagen querfeldein
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