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Charlston Girl

Charlston Girl

Titel: Charlston Girl Kostenlos Bücher Online Lesen
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muss. Ich komm schon klar.«
    Sorge, Wut und Mitleid sprechen aus den Blicken meiner Anverwandten, als sie langsam im Gänsemarsch zur Tür hinaustrotten, gefolgt von der Pastorin.
    Ich bin ganz allein im stillen Raum. Und es ist, als wäre der Zauber plötzlich gebrochen.
    Was zum Teufel habe ich da eben getan?
    Werde ich verrückt?
    Das würde sicher einiges erklären. Vielleicht sollte man mich einfach in irgendeine hübsche, friedliche Klinik einweisen, wo man im Strampelanzug Bilder malt, und nicht über seine scheiternde Firma oder Exfreunde oder Parkzettel nachdenken muss.
    Ich sinke auf einen Stuhl und atme tief aus. Vorn ist meine Halluzination vor der Tafel erschienen und betrachtet die alte Frau auf dem Foto.
    »Und bist du nun ermordet worden?«, sage ich.
    »Oh, das glaube ich eher nicht.« Sie nimmt mich kaum wahr, geschweige denn, dass sie sich bei mir bedanken würde. War ja klar, dass ich eine Halluzination ohne Manieren bekomme.
    »Auch gut. Gern geschehen«, sage ich mürrisch. »Du weißt schon. Jederzeit.«
    Das Mädchen scheint mich nicht mal zu hören. Sie sieht sich im Raum um, als könnte sie irgendetwas nicht begreifen.
    »Wo sind die Blumen? Wenn das hier meine Beerdigung ist, wo sind dann die Blumen?«
    »Oh!« Mein schlechtes Gewissen versetzt mir einen Stich. »Die Blumen wurden... versehentlich woandershin geliefert. Es waren richtig viele, ehrlich. Traumhaft schön.«
    Sie ist nicht real, sage ich mir inbrünstig. Hier spricht nur mein Gewissen mit mir.
    »Und was ist mit den Leuten?« Sie klingt perplex. »Wo waren die ganzen Leute?«
    »Einige waren verhindert.« Hinter meinem Rücken kreuze ich die Finger und hoffe, ich klinge glaubwürdig. »Aber viele, viele wären gern gekommen...«
    Ich stutze, als sie sich in Luft auflöst, während ich noch mit ihr spreche.
    »Wo ist meine Kette ?« Erschrocken zucke ich zusammen, als ich die Stimme direkt im Ohr habe.
    »Ich weiß nicht, wo deine verdammte Kette ist!«, schreie ich. »Hör auf, mich zu nerven! Bist du dir darüber im Klaren, dass man mir die Sache hier nie vergessen wird? Und du hast noch nicht mal Danke gesagt!«
    Schweigend rückt sie ein Stückchen ab, wie ein ertapptes Kind.
    »Danke«, sagt sie schließlich.
    »Schon okay.«
    Die Halluzination spielt mit dem Schlangenarmband an ihrem Handgelenk herum, und ich sehe sie mir genauer an. Ihr Haar ist dunkel und glänzt, und die Spitzen umrahmen ihr Gesicht, wenn sie den Kopf vorbeugt. Sie hat einen langen, weißen Hals, und jetzt sehe ich, dass ihre großen, leuchtenden Augen grün sind. Ihre cremefarbenen Lederschuhe sind winzig, Größe 35 vielleicht, mit kleinen Knöpfchen und Blockabsätzen. Ich würde sagen, sie ist ungefähr so alt wie ich. Vielleicht etwas jünger.
    »Onkel Bill«, sagt sie schließlich und dreht dabei an ihrem Armband herum. »William. Einer von Virginias Jungen.«
    »Ja. Virginia war meine Großmutter. Mein Vater ist Michael. Somit bist du meine Großtan-...« Ich stutze und fasse mir an den Kopf. »Das ist doch verrückt. Woher weiß ich eigentlich, wie du aussiehst! Wie kann ich dich halluzinieren?«
    »Du halluzinierst mich nicht!« Sie reißt das Kinn hoch, wirkt gekränkt. »Ich bin real!«
    »Du kannst nicht real sein!«, sage ich ungeduldig. »Du bist tot! Aber was bist du dann? Ein Gespenst?«
    Merkwürdiges Schweigen macht sich breit. Dann wendet sich das Mädchen ab.
    »Ich glaube nicht an Gespenster«, sagt sie abschätzig. »Genauso wenig wie ich«, blaffe ich zurück. Die Tür geht auf, und ich zucke zusammen. »Lara.« Die Pastorin kommt herein, mit roten Wangen, etwas aufgelöst. »Ich habe mit der Polizei gesprochen. Die fragen, ob Sie aufs Revier kommen könnten.«

3
    Wie sich herausstellt, wird Mord auf Polizeirevieren ziemlich ernst genommen. Was ich mir vermutlich hätte denken können. Man hat mich in einen kleinen Raum mit einem Tisch und Plastikstühlen und Plakaten gesetzt, auf denen steht, dass man sein Auto abschließen soll. Ich habe eine Tasse Tee bekommen und ein Formular zum Ausfüllen, und eine Polizistin sagte, gleich käme ein Detective, um mit mir zu sprechen.
    Ich möchte laut loslachen. Oder aus dem Fenster klettern. »Was soll ich einem Detective erzählen?«, rufe ich, sobald die Tür ins Schloss gefallen ist. »Ich weiß nichts über dich! Was soll ich sagen, wie du ermordet worden bist? Mit dem Kerzenständer? Im Salon?«
    Sadie scheint mich nicht mal gehört zu haben. Sie sitzt auf dem Fensterbrett und

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