Charlston Girl
glücklich. Und sicher haben Sie ihr einen würdigen Abschied bereitet.«
Ich denke an Sadies öde, traurige Beerdigung und fühle mich immer mieser.
»Ah... ja, mehr oder weniger... Hey!« Plötzlich entdecke ich etwas auf dem Bild. »Moment mal! Was ist das?«
»Das ist die Libellenkette.« Ginny nickt. »Sie können das Foto behalten, wenn Sie wollen.«
Ich nehme das Bild an mich, bin ganz benommen. Da ist die Kette. Gerade eben zu erkennen, unter dem Schultertuch meiner Großtante Sadie. Da sind die Perlen. Da ist die Libelle mit dem Strass. Genau wie beschrieben. Sie existiert tatsächlich!
»Es tut mir so leid, dass von uns niemand zur Beerdigung kommen konnte«, seufzt Ginny, als wir den Korridor entlanggehen. »Wir hatten diese Woche Personalprobleme. Aber beim Abendessen haben wir auf sie angestoßen... da sind wir! Sadies Sachen.«
Wir stehen vor einem kleinen Lagerraum voll staubiger Regale, und sie reicht mir einen Schuhkarton. Darin liegen eine alte Haarbürste und zwei alte Taschenbücher. Ganz unten sehe ich die schimmernden Perlen.
»Das ist alles ?« Ich bin konsterniert.
»Ihre Kleidung haben wir nicht aufgehoben.« Ginny wirkt etwas verlegen. »Es waren auch nicht wirklich ihre , sozusagen. Ich meine, sie hat sie nicht selbst ausgesucht.«
»Aber was ist mit den Sachen aus ihrem früheren Leben? Was ist mit... Möbeln? Oder Erinnerungsstücken?«
Ginny zuckt mit den Schultern. »Tut mir leid. Ich bin erst seit fünf Jahren da, und Sadie hat sehr lange hier gewohnt. Ich vermute, manches geht kaputt oder verloren und wird nicht ersetzt ...«
»Ach so!« Ich versuche, mein Entsetzen zu verbergen, und packe die paar Sachen aus. Ein Mensch lebt hundertfünf Jahre, und das ist alles, was von ihm übrig bleibt? Ein Schuhkarton?
Als ich in das Gewirr von Halsketten und Broschen am Boden greife, merke ich, wie aufgebracht ich bin. Ich entwirre die Perlen, suche nach gelbem Glas, nach glitzerndem Strass, nach der Libelle...
Sie ist nicht da.
Mir schwant Furchtbares. Ich schüttle das Perlenknäuel auseinander und breite alles aus Insgesamt sind es dreizehn Ketten. Die richtige ist nicht dabei.
»Ginny. Ich kann die Libelle nicht finden.«
»Ach du je!« Sorgenvoll blickt Ginny über meine Schulter. »Sie müsste aber da sein!« Sie nimmt eine andere Kette aus kleinen, roten Perlen, und lächelt sie entzückt an. »Das war auch eines von ihren Lieblingsstücken...«
»Ich suche eigentlich die Libellenkette.« Ich weiß, ich klinge aufgebracht. »Könnte sie noch irgendwo anders sein?«
Ginny ist perplex. »Komisch. Fragen wir Harriet. Sie hat das Zimmer ausgeräumt.« Ich folge ihr den Korridor entlang und durch eine Tür mit der Aufschrift »Personal«. Dahinter verbirgt sich ein kleiner, gemütlicher Raum, in dem drei Schwestern auf alten, gemusterten Lehnstühlen sitzen und Tee trinken.
»Harriet!«, sagt Ginny an eine junge Frau mit rosigen Wangen und Brille gewandt. »Das ist Sadies Großnichte Lara. Sie sucht diese hübsche Libellenkette, die Sadie immer getragen hat. Hast du die gesehen?«
Oh Gott. Warum musste sie das so sagen? Ich stehe da wie ein Raffke.
»Ich will sie nicht für mich«, sage ich hastig. »Ich will sie für... einen guten Zweck.«
»In Sadies Karton ist sie nicht«, erklärt Ginny. »Weißt du, wo sie sein könnte?«
»Ist sie nicht?« Harriet wirkt verdutzt. »Na, vielleicht war sie gar nicht im Zimmer. Jetzt, wo du es sagst, kann ich mich gar nicht erinnern, sie gesehen zu haben. Tut mir leid, ich weiß, ich hätte eine Liste anfertigen sollen. Das Zimmer musste so schnell ausgeräumt werden.« Entschuldigend sieht sie mich an. »Wir waren unterbesetzt...«
»Haben Sie eine Ahnung, wo sie geblieben sein könnte?« Hilflos sehe ich die Schwester an. »Wäre es möglich, dass sie irgendwo aufbewahrt wurde oder dass man sie einer anderen Bewohnerin gegeben hat... ?«
»Der Flohmarkt!«, ruft eine schlanke, dunkelhaarige Schwester aus der Ecke. »Sie wurde doch nicht versehentlich auf dem Flohmarkt verkauft, oder?«
»Was für ein Flohmarkt?« Ich fahre zu ihr herum.
»Es war eine Spendenaktion, vorletztes Wochenende. Die Bewohner und ihre Familien haben alles Mögliche gespendet. Es gab da einen Stand mit Schmuck und Nippes.«
»Nein.« Ich schüttle den Kopf. »Diese Kette hätte Sadie nie gespendet. Dafür hat sie ihr zu viel bedeutet.«
»Wie gesagt.« Die Schwester zuckt mit den Achseln. »Wir sind von Zimmer zu Zimmer gegangen. Überall standen
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