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Charlston Girl

Charlston Girl

Titel: Charlston Girl Kostenlos Bücher Online Lesen
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Gesicht.
    »Kann ich etwas für Sie tun?«
    »Ja. Ich heiße Lara und komme wegen einer... einer ehemaligen Bewohnerin.« Ich werfe Sadie einen Blick zu.
    Sie ist weg.
    Eilig sehe ich mich im Vorgarten um, aber sie hat sich in Luft aufgelöst. Sie hat mich einfach im Stich gelassen.
    »Eine ehemalige Bewohnerin?«, souffliert die Schwester.
    »Oh. Ah... Sadie Lancaster?«
    »Sadie!« Ihre Miene entspannt sich. »Kommen Sie doch rein! Ich bin Ginny, die Oberschwester.«
    Ich folge ihr in einen Korridor, der nach gebohnertem Linoleum und Desinfektionsmittel riecht. Es ist ganz still im Haus, abgesehen von den quietschenden Gummischuhen der Schwester und einem Fernseher irgendwo. Im Vorübergehen sehe ich ein paar alte Damen mit Häkeldecken auf den Knien.
    Ich kenne keine alten Leute. Keine wirklich alten Leute.
    »Hallo!« Nervös winke ich einer weißhaarigen Frau, und sofort verzieht sich ihr Gesicht in Panik.
    Verdammt.
    »Tschuldigung!«, sage ich leise. »Ich wollte nicht... äh...«
    Eine Schwester kümmert sich um die alte Dame, und erleichtert laufe ich Ginny hinterher. Hoffentlich hat sie nichts gemerkt.
    »Sind Sie eine Verwandte?«, fragt sie, als sie mich in ein kleines Empfangszimmer führt.
    »Ich bin Sadies Großnichte.«
    »Wie schön!«, sagt die Schwester und knipst den Wasserkocher an. »Ein Tässchen Tee? Wir haben uns schon gedacht, dass irgendwann jemand kommt. Ihre Sachen sind noch gar nicht abgeholt worden.«
    »Deshalb bin ich hier.« Ich zögere, nehme innerlich Anlauf. »Ich suche eine Halskette, die - soweit ich weiß - Sadie gehört hat. Eine gläserne Perlenkette mit einer strassbesetzten Libelle.« Ich lächle verlegen. »Ich weiß, die Chancen stehen schlecht, und wahrscheinlich haben Sie noch nicht mal...«
    »Die kenne ich.« Sie nickt.
    »Sie kennen sie?« Sprachlos starre ich sie an. »Sie meinen... es gibt sie wirklich?«
    »Sie hatte ein paar hübsche Schmuckstücke.« Ginny lächelt. »Aber die Libelle war ihr liebstes. Sie hat sie eigentlich nie abgelegt.«
    »Stimmt!« Ich schlucke, versuche, ruhig zu bleiben. »Dürfte ich sie vielleicht mal sehen?«
    »Sie müsste in ihrem Karton sein.« Ginny nickt. »Wenn ich Sie vorher bitten dürfte, mir ein Formular auszufüllen... haben Sie Ihren Ausweis dabei?«
    »Selbstverständlich.« Mit rasendem Herzen wühle ich in meiner Tasche herum. Ich fasse es nicht. Es war so einfach!
    Während ich das Formular ausfülle, sehe ich mich nach Sadie um, aber die ist nirgendwo zu sehen. Wo ist sie hin? Sie verpasst den großen Moment!
    »Hier, bitte schön.« Ich händige Ginny den Zettel aus. »Dann kann ich sie also mitnehmen? Ich bin mehr oder weniger Sadies nächste Angehörige...«
    »Die Anwälte sagten, die Angehörigen hätten kein Interesse an ihrer persönlichen Habe«, sagt Ginny. »Ihre Neffen, oder? Wir haben sie nie zu Gesicht bekommen.«
    »Oh.« Ich laufe rot an. »Mein Vater. Und mein Onkel.«
    »Wir haben ihre Sachen aufbewahrt, für den Fall, dass diese Neffen es sich anders überlegen...« Ginny schiebt sich durch eine Schwingtür. »Aber ich wüsste nicht, wieso Sie die Sachen nicht mitnehmen sollten.« Sie zuckt mit den Schultern. »Ehrlich gesagt, ist da nicht viel. Abgesehen vom Schmuck...« Sie bleibt vor einer Pinwand stehen und deutet liebevoll auf ein Foto. »Hier ist sie! Hier ist unsere Sadie.«
    Es ist dieselbe alte Dame wie auf dem anderen Foto. Sie ist in ein rosafarbenes, spitzenbesetztes Schultertuch gewickelt und trägt eine weiße Schleife in ihren Zuckerwatte-Haaren. Die Kehle schnürt sich mir zu, als ich das Bild betrachte. Ich bringe dieses zerknitterte Gesicht nicht mit Sadies stolzem, elegantem Profil zusammen.
    »Das war ihr hundertfünfter Geburtstag.« Ginny deutet auf ein anderes Foto. »Sie müssen wissen, dass Sadie die älteste Bewohnerin war, die wir je hatten! Sie bekam sogar Telegramme von der Queen!«
    Auf diesem Bild sitzt Sadie vor einer Geburtstagstorte, und die Schwestern drängeln sich lachend um sie, mit Teebechern in Händen und Partyhütchen auf dem Kopf. Als ich sie so sehe, wird mir bewusst, wie sehr ich mich schäme. Wieso waren wir nie hier? Wieso drängen sich nicht Mum und Dad und ich und alle anderen um sie?
    »Ich wünschte, ich wäre dabei gewesen.« Ich beiße mir auf die Lippe. »Ich meine... das war mir nicht bewusst.«
    »Es ist nicht einfach.« Ginny lächelt mich an, ohne jeden Vorwurf, woraufhin ich mich nur noch schlechter fühle. »Keine Sorge. Sie war auch so

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