Charlston Girl
Entsetzen mustert. »Das ist doch kein Tanzen!«
Was hat sie erwartet? Dass wir einen Walzer hinlegen?
»Ihr seht aus, als würdet ihr durch Matsch waten! So tanzt man!«
Sie fängt an, Charlestonmäßig zu tanzen, mit fliegenden Beinen, Ellbogen und Armen. Selig strahlt sie, und ich höre, wie sie zur Musik summt. Wenigstens jemand amüsiert sich.
Während ich sie beobachte, tanzt sie auf Ed zu und legt ihre schlanken Hände auf seine Schultern. Dann streicht sie ihm bewundernd mit der Hand über die Wange. »Ist er nicht himmlisch?« Sie fährt mit beiden Händen über seine Brust, umfasst seine Taille und streicht ihm über den Rücken.
»Kannst du ihn fühlen?«, flüstere ich ungläubig, und Sadie zuckt zusammen, als hätte ich sie erwischt.
»Darum... darum geht es nicht«, sagt sie trotzig. »Und es geht dich auch nichts an.«
Okay, also kann sie es nicht. Na, wenn es ihr Spaß macht. Aber muss ich dabei zusehen?
»Sadie!«, zische ich, als ihre Hand noch weiter an ihm abwärts streicht.
»Entschuldigung, was haben Sie gesagt?« Ed muss sich anstrengen, um sich auf mich zu konzentrieren. Er tanzt noch immer wankend hin und her und hat ganz offenbar keine Ahnung, dass ihn ein Flapper befingert.
»Ich sagte... setzen wir uns.« Ich weiche Sadies Blick aus, die gerade versucht, an seinem Ohr herumzuknabbern.
»Nein!«, protestiert Sadie wütend. »Mehr!«
»Gute Idee«, sagt Ed und steuert auf unsere Sessel zu.
»Ed? Ed Harrison?« Eine Blondine stellt sich ihm in den Weg. Sie trägt beigefarbene Hosen, eine weiße Bluse und einen Ausdruck ungläubiger Schadenfreude im Gesicht. Am Tisch hinter ihr sehe ich mehrere teuer gestylte Typen, die aufmerksam herübersehen. »Dachte ich mir doch, dass Sie es sind! Haben Sie eben... getanzt?«
Als Ed in die Gesichter am Tisch blickt, wird klar, dass sein schlimmster Albtraum eben noch etwa fünfzigmal schlimmer wurde. Fast tut er mir leid.
»Das... das stimmt«, sagt er schließlich, als könnte er es selbst nicht fassen. »Wir haben getanzt.« Er berappelt sich. »Lara, kennen Sie Genevieve Bailey von DFT? Genevieve, Lara. Hallo Bill, Mike, Sarah...« Er nickt allen am Tisch zu.
»Ihr Kleid ist ein Traum.« Genevieve wirft einen herablassenden Blick auf mich. »Sie stehen offenbar auf den Twenties-Look.«
»Es ist ein altes Original.« Ich nicke.
»Zweifellos!«
Ich erwidere ihr Lächeln, so gut ich kann, aber sie hat meinen wunden Punkt getroffen. Ich möchte nicht verkleidet sein, als käme ich direkt aus einem Sammlerkatalog für alte Puppen. Besonders nicht vor einer Phalanx von wichtigen Managern.
»Ich gehe kurz mein Make-up auffrischen.« Ich zwinge mich zu einem Lächeln. »Bin gleich wieder da.«
In der Damentoilette nehme ich ein Tuch, mache es feucht und reibe an meinem Gesicht herum. Es geht nicht ab.
»Was machst du da?« Sadie taucht hinter mir auf. »Du ruinierst doch dein Make-up!«
»Ich will nur die Farbe etwas abschwächen«, sage ich schrubbend.
»Das Rouge geht nicht so schnell ab«, sagt Sadie. »Es ist nicht wasserlöslich. Hält tagelang. Der Lippenstift auch.«
Nicht wasserlöslich?
»Wo hast du eigentlich tanzen gelernt?« Sadie schiebt sich zwischen mich und den Spiegel.
»Hab ich nicht. Man lernt nicht tanzen. Man schnappt es einfach auf.«
»Das sieht man. Du bist unmöglich.«
»Und du hast sie nicht mehr alle«, erwidere ich gekränkt. »Du sahst aus, als wolltest du ihn auf der Stelle poppen!«
»Poppen.« Sadie runzelt die Stirn. »Was meinst du damit?«
»Es bedeutet... na, du weißt schon.« Ich stutze betreten. Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich mit meiner Großtante übers Poppen unterhalten möchte.
»Was?«, sagt Sadie ungeduldig. »Was bedeutet es?«
»Man macht es mit jemand anderem.« Ich wähle meine Worte mit Bedacht. »Es ist wie eine Pyjama-Party. Nur ohne Pyjama.«
»Ach, das.« Man sieht ihr an, dass sie begreift. »Das nennt ihr ›Poppen‹?«
»Manchmal.« Ich zucke mit den Schultern.
»Komischer Ausdruck. Wir haben Sex dazu gesagt.«
»Oh«, sage ich unbehaglich. »Na ja. Das tun wir auch...«
»Oder ›den Biber bürsten‹«, fügt sie hinzu.
Den Biber bürsten ? Und sie findet, »Poppen« ist ein seltsamer Ausdruck?
»Na, egal wie du es nennst.« Ich ziehe einen Schuh aus und reibe meine wunden Zehen. »Du sahst aus, als wolltest du es mitten in der Bar mit ihm treiben.«
Sadie grinst schief und richtet ihr Stirnband mit einem Blick in den Spiegel. »Du musst zugeben, dass
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