Charons Klaue
machte ein misstrauisches Gesicht, ehe er antwortete: Ich weiß nicht, was Ihr damit meint, anmaßender Sohn von Baenre.
Wirklich nicht?, kam die Erwiderung. Tiagos Gesicht drückte eher ehrliche Neugier als Irritation aus, was seine Aussage abmilderte. Seine Finger bewegten sich einfühlsam und schnell, da Jearth bereits in den Sattel stieg und bald zurück sein würde. Wenn die Älteren unserer Häuser von den vielversprechenden jungen Männern von Menzoberranzan reden, werden zwei Namen am häufigsten genannt, nicht wahr? Tiago Baenre und Ravel Xorlarrin. Vielversprechender Nachwuchs, der das Zeug hat, irgendwann die Schulen zu leiten. Vielleicht sind wir verdammt dazu, uns erbittert zu bekriegen, bis einer von uns stirbt.
Bei diesen Zeichen grinste er, um anzudeuten, mit wessen Ende Tiago rechnete.
Oder wir erstarken beide, wenn es uns gegenseitig nützt. Wenn Ihr dieses Gauntlgrym entdeckt und das Ungeheuer dort zähmt, wird Haus Xorlarrin Menzoberranzan entfliehen. Das weiß jeder, fügte er angesichts von Ravels großen Augen hinzu. Glaubt Ihr denn, Oberinmutter Quenthel wüsste nichts von Zeeriths Plänen?
Dass er Ravels Oberin ohne ihren Titel erwähnte und gleichzeitig den seiner eigenen Oberin aus Haus Baenre anführte, weckte in Ravel wieder Zweifel und Ärger, die er jedoch unterdrückte, um sich ganz auf die Andeutungen dieses verblüffenden jungen Kriegers zu konzentrieren.
Vielleicht betrachten Baenre, Barrison Del’Armgo und die anderen fünf der acht herrschenden Häuser diesen Akt als Verrat und löschen Xorlarrin und alle, die damit verbunden sind, vollständig aus. Ihr wärt gut beraten, Kontakt zu Bregan D’aerthe aufzunehmen, um Euch in einem solchen Fall die Flucht zu ermöglichen, fügte er scheinbar beiläufig hinzu. Die Zeichensprache der Drow war so ausgefeilt, dass sie selbst solche Anspielungen gestattete. Oder auch nicht – und dann wäre Ravel Xorlarrin besser dran, wenn er unter den Adligen von Haus Baenre einen Freund hätte, endete Tiago, während Jearth herbeiritt.
»Kommt, mein Freund«, sagte Tiago zu Jearth, um Ravel ein wenig aufzuziehen, während er sich umdrehte und davonritt.
Ravel sah dem Mann nach und flüsterte noch ein »Gut gespielt« in sich hinein. Tiagos Vorstellung war wirklich bühnenreif gewesen. Der junge Baenre hatte mit keinem Wort angedeutet, dass er etwas anderes als ein Feind sein würde, wenn Haus Baenre und die anderen beschlossen, Haus Xorlarrin anzugreifen. Denn obwohl seine Erwähnung der Söldnerbande Bregan D’aerthe ausgesprochen verlockend klang, war Tiago doch ein Baenre. Und Bregan D’aerthe arbeitete in erster Linie für Haus Baenre.
Sollte das demnach bedeuten, dass Tiago bei einem Krieg gegen Haus Xorlarrin Ravels einziger Ausweg sein könnte?
Der Zauberspinner war sich nicht sicher.
Gut gespielt, in der Tat.
Ravel und die anderen Zauberspinner konnten das Murmeln hinter der Wand aus Schwärze hören, die sie vom Hauptbereich der riesigen Höhle trennte. Diese Finsternis war keine reine Abwesenheit von Licht, wie sie für das Unterreich so typisch war, sondern sie bestand aus überlappenden magischen Kugeln, die für das Auge undurchdringlich und absolut lichtleer waren.
Die adligen Zauberspinner von Haus Xorlarrin hatten diese Kugeln als Sichtschutz gleich hinter einem der unauffälligeren Zugänge zur Höhle erschaffen. Ein Zauberer hatte ein schwebendes Auge erzeugt und über die schwarze Wand gelenkt, wo es nun als Ausguck diente.
Im nächsten Moment liefen die Goblins vor. Sie hielten strenge Disziplin, denn wer aus der Reihe tanzte, war des Todes, und wer ein Geräusch machte, welches auch immer, war ebenfalls tot. Die hässlichen kleinen Kerle standen Schulter an Schulter im Halbkreis und bildeten so einen lebenden Schild, hinter dem die Drow-Zauberspinner lautlos hereinschlichen und lautlos ihr Werk begannen.
Neunzehn Handpaare aus Xorlarrin fuhren in die Höhe, die Finger bewegten sich, und die Zauberer drehten sich langsam und wirkten leise ihre Magie. Dieses Ritual war Ravels größter Erfolg, und nur Xorlarrin kombinierte in dieser Weise die Macht zahlreicher Zauberspinner. Aus den ausgestreckten, wackelnden Fingern kamen Lichtfäden, die sich auf exakt positionierte Zaubererkollegen zubewegten, die in ihrem eigenen Ring immer den gleichen Abstand zu den anderen wahrten. Vier standen innen, sechs im mittleren Ring und acht im äußeren. Ravel befand sich im Zentrum der Formation, wo seine Hände eine Kugel in die
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