Charons Klaue
Schlange, deren Körper so dick war wie die Brust eines großen Mannes, hob ihren schweren Kopf vom Boden und starrte den drei Eindringlingen in ihr Kanalreich direkt in die Augen.
»Verteilt euch«, sagte Drizzt zu seinen Begleitern. Entreri stand rechts von ihm, Dahlia links. »Auseinander. Wir müssen an diesem Maul vorbei.«
Er keuchte auf, denn der Kopf der Riesenschlange kam blitzschnell auf ihn zugeschossen. Zuerst wollte er ihn mit seinen Säbeln abwehren, aber angesichts des klaffenden Mauls, das groß genug war, ihn in einem Stück zu verschlucken, und schnell wie ein galoppierendes Pferd auf ihn zuflog, war das einfach lächerlich. Instinktiv warf sich Drizzt noch rechtzeitig zur Seite, doch der Kopf schnappte neben ihm so gewaltsam ins Leere, dass allein diese Wucht Drizzt beinahe umgeworfen hätte. Er blieb auf den Beinen, aber die Schlange zog sich so rasch wieder zusammen, dass der Drow keinen Gegenangriff ausführen konnte.
»Dieses Ding können wir nicht bekämpfen«, flüsterte Dahlia. Ihre niedergeschlagene Stimme war keineswegs pragmatisch, und als Drizzt einen Blick auf die Elfe warf, die das Kämpfen normalerweise genoss, sah er, wie sie hilflos die Arme hängen ließ, als wollte sie sich ergeben.
Er blickte zu der Riesenschlange zurück, deren Kopf hypnotisierend von einer Seite zur anderen pendelte. Die schwarzen Augen starrten ihn an, blickten einfach durch ihn hindurch und verspotteten ihn mit ihrer Macht.
Die Momente verstrichen. Mehr als einmal kam Drizzt der Gedanke, dass Dahlia recht hatte. Sie konnten dieses Riesentier nicht bekämpfen. Die Schlange war ihnen weit überlegen, ein viel zu starker Gegner.
Außerdem wollte sie ihnen gar nichts tun.
Das lag auf der Hand und war vollkommen logisch – bis Drizzt das Offensichtliche abschütteln und wirklich darüber nachdenken konnte.
Erst da wanderte sein Blick um die große Schlange herum, und er sah ein halbes Dutzend anderer Leute zufrieden neben der Schlange stehen.
Zufrieden.
Es waren Menschen aus Niewinter und auch zwei Shadovar, alle unbewaffnet, die neben der Schlange standen, als wäre diese ihre Freundin.
Oder ihre Herrin.
Drizzt blickte nach links und rechts. Dahlia hatte Kozahs Nadel niedergelegt und stand nur da, schüttelte hilflos den Kopf. Entreri, der furchtloseste Krieger, den Drizzt je gekannt hatte, ein Mann, der in scheinbar hoffnungslosen Lagen nur noch wütender und wilder wurde, rollte nervös Schwert und Hirschfänger in den Händen und wagte das Riesentier kaum anzusehen.
Da wusste Drizzt, dass es nicht nötig war, diese Kreatur zu bekämpfen. Sie konnten unmöglich siegen oder auch nur überleben, wenn sie sich auf einen derart ungleichen Kampf einließen. Nein, am besten unterwarfen sie sich diesem gottähnlichen Wesen, akzeptierten, dass sie ihm unterlegen waren, und schickten sich in ein glückliches Leben an seiner Seite.
Es würde ein ruhiges, friedliches Leben sein.
Drizzt fühlte, wie seine Krummsäbel heruntersanken. Er war verloren. Alles war verloren.
Ihre Gedanken waren frei zugänglich.
Das war Dahlia bewusst, aber es fühlte sich ganz natürlich an, und die Nähe, die durch diese Gemeinsamkeit entstand, kam ihr warm und einladend vor. Das Wesen vor ihr, diese Göttin, verstand sie. Es sah ihren tiefsten Schmerz, ihre schlimmsten Ängste. Dahlia fühlte sich nackt und entblößt, und alle konnten es sehen, und in dieser Offenheit, ganz ohne ihre Geheimnisse, fühlte sie sich … frei.
Das war kein Feind.
Das war die Erlösung!
Ihr Schmerz lag offen vor ihr – die Vergewaltigung, die Scham, ihre entsetzliche und böse Entscheidung, ihr Kind zu töten, die Quelle ihrer Wut, die vielen toten Liebhaber – und würde Drizzt nicht auf diesem Stapel Leichen landen?
Oder wäre er womöglich stark genug, stattdessen sie zu töten und zugleich zu befreien? Denn darum ging es letztlich doch!
Aber vielleicht brauchte sie dieses Extrem am Ende gar nicht, dieses ewige Ringen um Liebe oder Tod, um ihren Schmerz enden zu lassen.
Vielleicht lag die Antwort greifbar nahe in den dunklen Augen dieses faszinierenden, allwissenden Geschöpfs.
Seine Gedanken waren frei zugänglich.
Das war Entreri bewusst, aber es fühlte sich ganz natürlich an, und die Nähe, die durch diese Gemeinsamkeit entstand, kam ihm warm und einladend vor. Das Wesen vor ihm, diese Göttin, verstand ihn. Es sah seinen tiefsten Schmerz, seine schlimmsten Ängste. Entreri fühlte sich nackt und entblößt, und alle konnten es
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