Charons Klaue
und flehte, weinte und jammerte, ballte die Fäuste und wetterte über Verrat. Doch ob es die Angst vor einem Verrückten war oder reine Gleichgültigkeit – weder ein Schatten noch ein Stadtbewohner nahmen sich seiner an.
Mehr als einmal glaubte er wieder das süße Geräusch einer Abolethen-Stimme zu vernehmen, das ihn jedoch nur zu umgeben schien und nicht direkt an ihn gerichtet war. Schließlich sank Anthus wieder auf die Knie, mitten auf einer großen Kreuzung.
Ohne auf seine Umgebung und die vielen neugierigen Blicke zu achten, die er auf sich zog, begann Bruder Anthus vor sich hinzusummen.
Er fühlte das Heben und Senken seines Bauches.
»Ich brauche mehr«, beschwor Erzgo Alegni die rote Klinge. Er hatte etwas gespürt, ein Flackern, das Gefühl, dass der Meuchelmörder gar nicht weit von hier entfernt war. Klaues Zugriff auf den Mann mit dem Namen Barrabas war in Wahrheit begrenzt, und Entfernung schränkte ihn noch mehr ein. Zu Alegnis Glück hatte der gefährliche kleine Kerl diesen Zusammenhang nie durchschaut.
In den wirklich brenzligen Situationen, wenn Barrabas sich gegen Alegni wenden wollte, war Klaue äußerst hilfreich. Es konnte ihn vor den Schlägen von Barrabas dem Grauen warnen und darauf reagieren, bevor dieser sie ausführte. Der Moment zwischen der Planung eines Schlags und dessen Ausführung war für einen äußerlichen Beobachter überaus kurz, aber Klaue beobachtete von innen heraus, und diese flüchtigen Bruchteile eines Herzschlags währten in dem gedanklichen Universum, in dem Klaue existierte, weit länger.
Das Schwert reagierte gerade nicht auf Alegnis Aufforderung, wie der vierschrötige Tiefling mit dem roten Teufelsgesicht stirnrunzelnd feststellte.
»Wo ist dein Sklave?«, fragte der Heerführer direkt.
Das Schwert antwortete mit dem Eindruck, dass Barrabas in der Nähe sei, doch dann nahm der Tiefling etwas anderes wahr. Etwas Neues.
In der Ferne hörte Alegni lautes Geschrei. Flehentlich drang immer wieder ein verzweifeltes »Bitte!« durch das nächtliche Niewinter. Er tat es als unwichtig ab – vermutlich hatte einer der neuen Schattensoldaten einen armseligen Bürger aufgestöbert, was für diesen ein schlimmes Ende nahm. Er konzentrierte sich wieder auf das Schwert mit der roten Klinge und dieses andere Gefühl.
Es lag Energie in der Luft, so viel verstand er. Telepathische Energie.
Erzgo Alegni lehnte sich in seinem Stuhl auf dem Balkon besorgt nach hinten. Die Vorstellung, dass Barrabas – Artemis Entreri – in die Stadt zurückkehrte, störte ihn nicht im Geringsten, auch wenn der Mann von Dahlia und diesem Drow-Waldläufer begleitet wurde, der sich ihr angeschlossen hatte. Für Alegni war das nichts als eine Unannehmlichkeit, vielleicht aber auch eine gute Gelegenheit. Wobei man Dahlia natürlich gefangen nehmen und foltern, vermutlich auch töten musste, doch solange er das Schwert besaß, konnte Barrabas ihm nichts tun. Dessen war Alegni sicher.
Aber was war mit dieser anderen Macht? Er spürte sie jetzt, weil Klaue sie spürte. Was mochte das sein? Wer oder was bedrohte seine Stellung in Niewinter?
Von dem Schwert erfuhr er weiter nichts, so dass er schließlich aufgab und die rote Klinge wieder in die Schlaufe an seinem Gürtel schob. Er überlegte, ob er Effron aufsuchen sollte – bestimmt war ein Schwarzmagier besser auf derartige mystische Energien eingestimmt, wie er sie gerade bemerkt hatte. Doch diesen Gedanken verwarf er schnell wieder, denn wie konnte Alegni sicher sein, dass die Energie nicht von dem verkrüppelten Hexer selbst ausging?
Am Ende seufzte der Tiefling nur und beließ es dabei. Er warf einen Blick auf den kunstvollen Knauf seines Zauberschwerts und fragte sich, ob es ihm wirklich etwas Besonderes übermittelt hatte. Vielleicht war es nur Klaues Energie gewesen, die nach Barrabas suchte und in die er sich versehentlich eingemischt hatte. Er betrachtete die Stadt mit ihren zahllosen Kontrollpunkten und Wachposten, die in ganz Niewinter stationiert waren. Barrabas und seine neuen Freunde – sofern sie tatsächlich Verbündete waren – würden die Mauer nicht überwinden, ohne dass Alegni davon erfuhr.
Er suchte die dunkle Stadt ab. Sein Blick schweifte von Feuer zu Feuer, von Fackel zu Fackel. Alles schien wie immer.
Alegni nickte zufrieden, nahm sein Schwert und die Stiefel, die er bereits ausgezogen hatte, und ging in sein Zimmer. Bis es dämmerte, wollte er zumindest eine halbe Nacht Schlaf bekommen.
Die riesige
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