Chasm City
auf der anderen Seite der Glaswand ebenso viele.
Mit Ultras hatte ich schon früher zu tun gehabt: ich erinnerte mich an Captain Orcagna und seine Crew an Bord der Orvieto; an die Frau mit dem Loch im Unterleib, die uns in Empfang genommen hatte. Wenn ich mir überlegte, wie genau Reivich über unseren Hinterhalt Bescheid gewusst hatte, dann drängte sich unwillkürlich die Frage auf, ob wir – letzten Endes – nicht alle von Orcagna verraten worden waren. Vielleicht hatte der Ultra-Captain sogar dafür gesorgt, dass ich durch meine Reanimations-Amnesie an Reivichs Verfolgung gehindert wurde.
Vielleicht litt ich auch nur unter Verfolgungswahn.
Hinter der Glaswand bewegten sich noch seltsamere Gebilde als die schwarz gekleideten Cyborg-Gespenster von den Lichtschiffen: eine Art aufrechter Kästen, die mit unheimlicher Wendigkeit durch die Menge glitten. Niemand schien sie zu beachten – fast als wären sie gar nicht vorhanden –, aber jeder machte ihnen bereitwillig Platz. Ich beobachtete die Kästen, während ich meinen Kaffee trank. Einige hatten plumpe mechanische Arme an der Vorderseite – die meisten allerdings nicht – und fast alle waren vorne mit dunklen Fenstern versehen.
»Das müssen Palankine sein.«
Ich erkannte Quirrenbachs Stimme und seufzte. Er ließ sich auf dem Stuhl neben mir nieder.
»Gut. Schon fertig mit Ihrer Symphonie?«
Er überhörte die Spitze bemerkenswert routiniert. »Von diesen Palankinen hatte man mir berichtet. Die Leute im Inneren werden Hermetiker genannt. Es sind diejenigen, die ihre Implantate behalten haben und auch nicht darauf verzichten wollen. Ein solcher Kasten ist wie ein wandelnder Mikrokosmos. Glauben Sie eigentlich, dass die Ansteckungsgefahr immer noch so groß ist?«
Ich stellte meine Kaffeetasse ab. »Woher soll ich das wissen?«, fragte ich unwirsch.
»Verzeihung, Tanner… ich wollte mich doch nur mit Ihnen unterhalten.« Er warf einen empörten Blick auf die leeren Sitze ringsum. »Es ist ja nicht gerade so, als hätten Sie zu viel Gesellschaft!«
»Vielleicht bin ich darauf auch gar nicht so versessen.«
»Ach, kommen Sie.« Er schnalzte mit den Fingern und rief damit den schmuddeligen Kaffee-Servomaten an unseren Tisch. »Wir sitzen doch im selben Boot, Tanner. Ich verspreche Ihnen, Sie nicht mehr zu belästigen, sobald wir in Chasm City sind, aber könnten Sie sich bis dahin denn nicht überwinden, ein klein wenig freundlicher zu sein? Wer weiß, vielleicht sind Sie noch einmal froh um meine Hilfe. Ich kenne mich hier zwar nicht sehr gut aus, aber offenbar doch ein wenig besser als Sie.«
»Ein klein wenig.«
Er ließ sich von der Maschine einen Kaffee servieren und bot mir an, meine Tasse nachfüllen zu lassen. Ich lehnte ab, aber es klang hoffentlich einigermaßen höflich.
»Mein Gott, wie abscheulich«, sagte er nach dem ersten Schluck.
»Wenigstens darüber sind wir uns einig.« Ich wagte einen kleinen Scherz. »Jedenfalls weiß ich jetzt, was in diesen Rohren sein könnte.«
»Welche Rohre?« Quirrenbach sah sich um. »Ach so. Nein; das sind Dampfrohre, Tanner. Und sie sind sehr wichtig.«
»Dampf?«
»NV verwendet sein eigenes Eis zur Kühlung. Das hat mir jemand auf der Strelnikov erzählt: das Eis wird in Breiform von der Außenhülle abgepumpt und dann durch die ganze Station oder vielmehr durch die Gassen zwischen den großen Wohnbereichen geleitet – dies hier ist eine solche Gasse. Dabei nimmt der Brei die überschüssige Wärme auf, schmilzt allmählich und fängt schließlich an zu kochen. Wenn alle Rohre mit überhitztem Dampf gefüllt sind, bläst man ihn ins All zurück.«
Ich dachte an die Geysire, die ich beim Anflug auf der Oberfläche von NV gesehen hatte.
»Das ist aber eine ziemliche Verschwendung.«
»Man hat nicht immer mit Eis gekühlt. Früher hatte man riesige Radiatoren, wie hundert Meter breite Schmetterlingsflügel. Aber die gingen verloren, als sich das Glitzerband auflöste. Das Eis ist nur eine Notlösung. Jetzt braucht man ständig Nachschub, sonst verwandelt sich das ganze Habitat in einen Backofen. Man holt das Eis von Marcos Auge, dem hiesigen Mond. An seinen Polen gibt es Krater, die ständig im Schatten liegen. Man hätte auch Methan-Eis von Yellowstone verwenden können, aber es gibt bisher keine Möglichkeit, es billig genug hier herauf zu schaffen.«
»Sie wissen eine ganze Menge.«
Er strahlte und klopfte auf die Reisetasche, die er auf dem Schoß hielt. »Details, Tanner. Details. Wenn
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