Chasm City
zum hiesigen Lokalkolorit, und ich möchte niemanden um diese einmalige kulturelle Erfahrung bringen.«
»Bleiben Sie länger hier? Auf NV, meine ich?«
Ich begriff nicht sofort, dass er von Neu; Vancouver sprach.
»Nein.«
»Dann nehmen Sie wohl den ersten Koloss zur Oberfläche hinunter?«
»Höchstwahrscheinlich.« Ich beobachtete über seine Schulter hinweg, wie sich die Menge durch den Ausgang schob. Durch ein Fenster sah ich, wie ein Teil der Rumpfverkleidung der Strelnikov, der sich beim Andocken gelöst hatte, an seinen Platz zurückgeschoben und mit Epoxidkleber befestigt wurde.
»Ja; möglichst schnell nach unten; das ist auch meine Absicht.« Quirrenbach klopfte auf die Reisetasche, die er wie einen Wappenschild an seine Brust drückte. »Je früher ich mit der Arbeit an meiner Seuchensymphonie beginnen kann, desto besser.«
»Es wird sicher ein rauschender Erfolg.«
»Danke. Und Sie? Ich will ja nicht neugierig sein, aber haben Sie schon feste Pläne, wenn Sie unten ankommen?«
»Den einen oder anderen.«
Er hätte sicher noch weiter gebohrt – ohne etwas zu erreichen –, doch in diesem Augenblick lichtete sich die Menge vor uns ein wenig, eine Gasse tat sich auf, und ich drängte mich hinein. Augenblicke später war ich für Quirrenbach unerreichbar geworden.
Von innen hatte New Vancouver keinerlei Ähnlichkeit mit dem Hospiz Idlewild. Es gab keine künstliche Sonne und keinen einzelnen belüfteten Raum. Die ganze Station glich einer Bienenwabe, vollgepfropft mit kleinen, in sich abgeschlossenen Zellen, die so eng zusammengedrängt waren wie die Bauteile eines antiken Radios. Ich hielt es fast für ausgeschlossen, dass Reivich sich noch in der Station aufhielt. Es gab mindestens drei Flüge nach Chasm City pro Tag, und ich war ziemlich sicher, dass er die erste verfügbare Maschine genommen hatte.
Dennoch hielt ich die Augen offen.
Amelias Schätzung war richtig gewesen: das Stoner-Geld, das ich bei mir hatte, reichte gerade für den Flug nach Chasm City. Die Hälfte hatte ich bereits für die Strelnikov bezahlt; der Rest deckte mit Mühe und Not die letzte Etappe ab. Natürlich hatte ich auch in Vadims Kabine einiges eingesackt, doch als ich mir die Beute nun genauer ansah, stellte ich fest, dass es nicht mehr war, als mir aus meiner eigenen Kasse übrig blieb. Seine Opfer, offensichtlich lauter Neuankömmlinge, hatten nicht viel einheimisches Geld bei sich getragen.
Ich sah auf die Uhr.
Vadims Uhr hatte konzentrische Zifferblätter für den sechsundzwanzigstündigen Yellowstone-Tag und den Vierundzwanzig-Stunden-Tag im System. Ich hatte bis zum Start noch zwei Stunden Zeit. Zunächst wollte ich nur in NV herumlaufen und mich nach einheimischen Informationsquellen umsehen, aber ich stellte rasch fest, dass große Bereiche der Station für Leute, die mit einem so bescheidenen Vehikel wie der Strelnikov hier ankamen, nicht zugänglich waren.
›Renner‹-Passagiere wurden durch Panzerglaswände vor uns, dem Pöbel, geschützt. Ich suchte mir einen Platz, wo ich mich hinsetzen und eine Tasse miserablen Kaffee trinken konnte (ein Produkt, das offenbar im ganzen Universum zu haben war) und beobachtete, wie die beiden Menschheitsströme nebeneinander her flossen, ohne sich zu vermischen. Ich saß an einer schäbigen Durchgangsstraße, wo sich Tische und Stühle den spärlichen Platz mit meterdicken Industrierohren teilen mussten, die wie Hamadryadenbäume vom Boden bis zur Decke reichten. Von den Hauptarterien zweigten kleinere Rohre ab und schlängelten sich durch die Luft wie rostige Gedärme. Alle Rohre pulsierten in einer Weise, die mich beunruhigte, als könnten das dünne Metall und die krümeligen Nieten die gewaltigen Drücke nur mit Mühe halten. Um die Leitungen waren Blätterranken gewunden, ein eher halbherziger Versuch, die Umgebung etwas ansprechender zu gestalten.
Nicht jeder, der durch diesen Teil des Schiffes schlurfte, sah arm aus, aber fast jeder sah so aus, als wäre er lieber anderswo. Ich erkannte ein paar Gesichter wieder, die ich auf dem Shuttleboot gesehen hatte, und vielleicht ein oder zwei Leute vom Hospiz Idlewild, aber der Mehrheit der Besucher war ich mit Sicherheit noch nie begegnet. Vermutlich kamen sie auch nicht alle von außerhalb. Wahrscheinlich war NV auch eine Durchgangsstation für Reisen innerhalb des Epsilon Eridani-Systems. Sogar ein paar Ultras stolzierten umher und trugen ihre chimärischen Veränderungen zur Schau, aber von dieser Sorte gab es
Weitere Kostenlose Bücher