Chasm City
hatte.
Vadim taumelte schreiend zurück. Aus seinem Auge schoss ein Blutstrahl so rot wie der Sonnenuntergang. Er schlug wie wild um sich, nur um sich nicht ins Gesicht fassen und den Fremdkörper berühren zu müssen, der in seiner Augenhöhle steckte.
»Verdammt!«, sagte der andere Mann. Ich rappelte mich hastig auf. Quirrenbach kämpfte kurz mit ihm, dann war er frei und rannte davon.
Vadim stand über den Tisch gebeugt und stöhnte. Sein Komplize hielt ihn fest und flüsterte ihm aufgeregt etwas ins Ohr. Er meinte wohl, es sei höchste Zeit zu verschwinden.
Ich gab ihm noch eine Botschaft mit auf den Weg.
»Ich weiß, es tut höllisch weh, Vadim, aber du solltest eines wissen. Ich hätte dir das Ding auch ins Gehirn stoßen können. Es hätte mich nicht mehr gekostet. Du verstehst doch, was ich damit sagen will?«
Er war jetzt blind, sein Gesicht war blutüberströmt, aber er drehte sich doch noch einmal nach mir um.
»…was?«
»Das heißt, du stehst zum zweiten Mal in meiner Schuld, Vadim.«
Dann nahm ich ihm vorsichtig die Uhr vom Handgelenk und legte sie wieder an.
Dreizehn
Wenn es in New Vancouvers von Rohren durchzogenen Gassen eine Instanz gab, die für Recht und Ordnung sorgte, dann ging sie so diskret vor, dass sie praktisch unsichtbar war. Vadim und sein Komplize konnten unbehelligt von der Bildfläche stolpern. Ich wartete noch ein wenig, fühlte mich fast verpflichtet, eine Erklärung abzugeben – aber nichts geschah. Der Tisch, an dem Quirrenbach und ich noch vor wenigen Minuten unseren Kaffee getrunken hatten, war in einem beklagenswerten Zustand, aber was sollte ich tun? Ein Trinkgeld für den schwachsinnigen Reinigungsservomaten hinterlegen, der sicher in Kürze daherschlendern würde, um sich mit der gleichen geistlosen Gründlichkeit, mit der er sonst die Kaffeeflecken beseitigte, über die Blut-, Schleim- und Urinpfützen herzumachen?
Ich ging, und niemand hielt mich auf.
Ich schlüpfte in einen Waschraum, spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht und wusch mir das Blut von der Faust. Dann zwang ich mich, in aller Ruhe nachzudenken. Der Raum war leer. Hinter mir eine lange Reihe von Toiletten mit komplizierten Diagrammen auf den Türen, die erklärten, wie sie zu benutzen waren.
Ich betastete meinen Brustkorb, bis ich sicher war, dass außer ein paar Blutergüssen nichts passiert war, dann begab ich mich zur Abflughalle. Der Raumkoloss – das mantaförmige Raumschiff – hing wie ein rundmäuliger Fisch an der Außenhülle des rotierenden Habitats. Aus der Nähe sah er lange nicht so glatt und aerodynamisch aus wie von ferne. Der Rumpf war mit Narben und Dellen übersät und stellenweise rußig-schwarz verfärbt.
Zwei Menschenströme wurden von entgegengesetzten Seiten in das Schiff geleitet. Mein Strom war ein trauriges, träges, graubraunes Rinnsal: die Menschen trotteten den Wendelgang hinunter, als ginge es zum Galgen. Auch der zweite Strom wirkte nur mäßig begeistert, doch durch die transparente Verbindungsröhre sah ich Passagiere in Begleitung von Servomaten, Tiere mit grotesken genetischen Veränderungen, ja sogar Menschen von tierähnlicher Gestalt. Dazwischen glitten die Palankine der Hermetiker dahin: schwarze, aufrechte Kästen, die an Metronome erinnerten.
Hinter mir geriet die Menge in Bewegung. Jemand kämpfte sich zu mir durch.
»Tanner!« Heiseres Bühnengeflüster. »Sie haben es auch geschafft! Sie waren plötzlich verschwunden, und ich habe mir schon Sorgen gemacht, ob sie womöglich anderen Gaunern von Vadim in die Hände gefallen wären!«
»Er drängt sich vor«, murrte jemand hinter mir. »Habt ihr das gesehen? Ich hätte gute Lust…«
Ich drehte mich um und fasste die Person, die ich instinktiv für den Sprecher hielt, ins Auge. »Er gehört zu mir. Wenn Sie damit ein Problem haben, dann sagen Sie es mir. Sonst halten Sie den Mund und stellen Sie sich an.«
Quirrenbach schlüpfte neben mir in die Reihe. »Danke…«
»Schon gut. Aber schreien Sie nicht und erwähnen Sie Vadims Namen nicht noch einmal.«
»Sie glauben also, er könnte hier wirklich überall Freunde haben?«
»Keine Ahnung. Aber ich hätte nichts dagegen, mal für eine Weile keinen neuen Ärger zu bekommen.«
»Das kann ich mir vorstellen, besonders nachdem…« Er wurde bleich. »Ich will gar nicht daran denken, was da vorhin passiert ist.«
»Dann lassen Sie es doch. Wenn Sie Glück haben, können Sie es für immer vergessen.«
Die Reihe schob sich um die letzte Biegung in
Weitere Kostenlose Bücher