Chasm City
Wärmefalle des Kraters mit Yellowstones Atmosphäre in Berührung kam. Wie gichtige Finger schienen die Gebäude an der Unterseite der Kuppel zu scharren. Zwischen den schmerzhaft geschwollenen, verkrümmten Gelenken spannten sich schwarze Netze wie die letzten Reste abgefaulter Handschuhe. Trauben von Lichtern saßen an den Fingerspitzen und zogen sich in langen, vielfach geschwungenen Filamenten an den dicksten Netzmaschen entlang. Jetzt aus der Nähe erkannte ich, wie fein das Netz tatsächlich war. Die Gebäude waren eingehüllt von einem vielschichtigen Gespinst aus feinstem schwarzem Garn, als wäre ein Heer von Spinnen in einen wahren Produktionsrausch verfallen und hätte eine krause Masse loser Fäden erzeugt, über die sich auf trunkenen Bahnen die Lichter bewegten.
Ich rekapitulierte, was ich aus der Grußbotschaft an Bord der Strelnikov über die Schmelzseuche erfahren hatte. Die Transformationen waren außerordentlich schnell vonstatten gegangen – so schnell, dass die Gebäude im Zuge ihrer Verwandlung viele Menschen auf weitaus primitivere Weise getötet hatten, als die Seuche selbst das getan hätte. Die Gebäude waren darauf ausgelegt, sich selbst zu reparieren und sich nach neuen architektonischen Vorstellungen, über die demokratisch entschieden wurde, beliebig umzugestalten. Wenn also eine hinreichende Anzahl von Bewohnern es wünschte, dass ein Gebäude seine Gestalt veränderte, dann gehorchte das Gebäude. Doch die durch die Seuche ausgelösten Veränderungen waren unkontrolliert und ohne jede Vorwarnung eingetreten, eher wie eine Reihe von abrupten seismischen Verschiebungen. Hier lagen die heimlichen Gefahren einer Stadt von so utopischer Flexibilität, dass sie jederzeit umgestaltet oder wie eine Eis-Skulptur eingefroren, aufgetaut und erneut eingefroren werden konnte. Niemand hatte dieser Stadt gesagt, dass in ihr Menschen lebten, die sie zerdrücken könnte, sobald sie anfinge, sich umzubilden. Unter den monströsen Gebilden, die jetzt die Straßen beherrschten, lagen immer noch viele von den Toten begraben.
Dann ließen wir Chasm City hinter uns und überflogen den zerklüfteten Rand des Kraters; der Koloss schob sich durch einen Einschnitt, der gerade breit genug erschien, um ihn aufzunehmen.
Vor uns erschien eine Gruppe von gepanzerten Gebäuden am Rand eines karamellbraunen Sees. Der Koloss sank auf die Wasserfläche zu und bemühte sich mit heulenden Schubdüsen, die Höhe zu halten und dem natürlichen Auftrieb entgegenzuwirken, der ihn nach oben tragen wollte.
»Zeit zum Aussteigen«, sagte Quirrenbach. Er stand auf und zeigte auf einen Strom von Menschen, der sich durch die Halle bewegte.
»Wo wollen die denn alle hin?«
»Zu den Landekapseln.«
Ich folgte ihm. Auf der anderen Seite der Halle führte ein Dutzend Wendeltreppen in die ein Stockwerk tiefer gelegene Ausschiffungszone hinab. Vor gläsernen Schleusen warteten die Menschen darauf, eine von mehreren Dutzend tränenförmigen Kapseln zu besteigen, die langsam auf Führungsschienen vorbeiglitten. Vorne angekommen, rutschten die Kapseln über eine kurze Rampe aus dem Bauch des Kolosses und stürzten aus zwei- bis dreihundert Metern Höhe spritzend in den See.
»Sie meinen, das Ding landet gar nicht wirklich?«
»Du lieber Himmel, nein.« Quirrenbach lächelte. »Eine Landung kann man unmöglich riskieren. Nicht in der heutigen Zeit.«
Unsere Kapsel glitt aus dem Bauch des Raumkolosses. Wir saßen zu viert darin: Quirrenbach und ich mit zwei fremden Passagieren. Die beiden unterhielten sich angeregt über eine lokale Berühmtheit mit Namen Voronoff, aber ihr Norte hatte einen so starken Akzent, dass ich nur etwa jedes dritte Wort verstand. Der Sturz aus dem Raumkoloss beeindruckte sie überhaupt nicht; auch als wir tief in den See eintauchten und durchaus die Gefahr bestand, nicht wieder aufzutauchen, verloren sie ihre Gelassenheit nicht. Endlich wurden wir doch nach oben getragen, und da die Wände durchsichtig waren, konnte ich ringsum andere Kapseln im Wasser schwimmen sehen.
Zwei gigantische Maschinen kamen durch den See gewatet, um uns in Empfang zu nehmen. Jede hatte drei dünne, mechanische Beine mit pneumatischem Kolbenantrieb und überragte uns turmhoch. Die schwimmenden Kapseln wurden mit einer Art von Kranarmen eingesammelt und in einem Netz verstaut, das unter dem Körper des Dreibeins hing. Ganz oben hockte in einer winzigen Druckkabine ein Fahrer, der hektisch irgendwelche Hebel bewegte.
Dann stakten
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