Chasm City
Sie selbst hier noch einige Relikte – Servomaten, Fahrzeuge –, aber die meisten sind im Besitz reicher Leute. Denen gehören auch sämtliche Atomkraftwerke und die wenigen Antimaterie-Kraftwerke, die es in der Stadt noch gibt. Unten im Mulch sieht es sicher anders aus. Und dort lebt man auch gefährlich.«
Ich studierte die Anzeigetafel, ohne ihn zu unterbrechen. Es hätte mir meine Aufgabe sehr erleichtert, wenn Reivich einen Zug zu einer der kleineren Siedlungen genommen hätte, wo er nicht nur auffiele, sondern auch festsäße, aber wahrscheinlicher war wohl doch, dass er mit dem ersten Zug nach Chasm City gefahren war.
Quirrenbach und ich entrichteten den Fahrpreis und stiegen ein. Die Wagons hinter der Lokomotive sahen sehr viel älter und damit sehr viel moderner aus als alle anderen. Man hatte sie von der alten Schwebebahn abgekoppelt und auf Räder gesetzt. Die irisförmige Tür schloss sich, dann fuhr das Ungetüm ratternd an, kroch im Schritt-Tempo vorwärts und kam mühsam auf Geschwindigkeit. Immer wieder hörte man es quietschen, wenn ein Rad durchdrehte. Doch dann wurde die Fahrt ruhiger, draußen zogen Dampfschwaden vorbei. Der Zug fuhr durch einen der schmalen Tunnel und passierte eine gigantische Irisblende und eine weitere Serie von Druckschleusen, bis wir vermutlich fast im Vakuum fuhren.
Es wurde gespenstisch still.
Das Fahrgastabteil war so überfüllt wie bei einem Gefangenentransport, und auch die Fahrgäste waren kleinlaut bis zur Schläfrigkeit wie Gefangene, die unter Beruhigungsmitteln in eine Strafanstalt geschafft wurden. An der Decke hatten sich Bildschirme ausgeklappt, auf denen nun Werbung gezeigt wurde, wobei ich mir nicht vorstellen konnte, dass die angepriesenen Produkte und Dienstleistungen die Seuche überdauert haben sollten. An einem Ende des Raums stand eine Gruppe von Palankinen so dicht beieinander wie ein Sortiment von Särgen im Lagerraum eines Leichenbestatters.
»Als Erstes müssen wir unsere Implantate los werden«, sagte Quirrenbach und beugte sich verschwörerisch zu mir. »Die Vorstellung, die Dinger noch in meinem Kopf zu haben, ist mir jetzt schon unerträglich.«
»Bestimmt lässt sich jemand finden, der das rasch erledigt«, beruhigte ich ihn.
»Rasch und sicher – das eine wäre ohne das andere nicht ratsam.«
Ich lächelte. »An die Sicherheit hätten Sie doch besser etwas früher denken sollen.«
Quirrenbach kräuselte nur die Lippen.
Auf dem Bildschirm vor uns lief ein Werbespot für eine besonders schnittige Flugmaschine, vergleichbar unseren Volantoren, nur schien sie aus Insektenteilen gemacht zu sein. Doch dann flimmerte der Bildschirm, und eine Frau erschien, die aussah wie eine Geisha.
»Willkommen an Bord des Chasm City-Zephyr.« Ihr Gesicht mit den geschminkten Lippen und den rosigen Wangen erinnerte an eine Porzellanpuppe. Sie trug ein Silbergewand von geradezu lächerlicher Eleganz, mit einem hohen Kragen, der sich hinter ihrem Kopf nach oben wölbte. »Im Moment durchfahren wir den Trans-Caldera-Tunnel und werden in acht Minuten das Grand Central Terminal erreichen. Wir wünschen Ihnen eine angenehme Fahrt und einen erholsamen und erfolgreichen Aufenthalt in Chasm City. Um sie auf die Ankunft einzustimmen, laden wir Sie nun ein, sich einige Attraktionen unserer schönen Stadt anzusehen.«
»Das ist interessant«, sagte Quirrenbach.
Die Fenster des Wagons flackerten und verwandelten sich in holographische Displays. Nun zeigten sie nicht länger die vorbeirasenden Tunnelwände, sondern ein eindrucksvolles Bild der Stadt. Es war, als hätte sich der Zug durch sieben Jahre Geschichte getunnelt. Zu beiden Seiten ragten traumhaft schöne Gebäude schwindelerregend himmelwärts wie Berge aus massivem Opal oder Obsidian. Nach unten fiel das Gelände terrassenförmig ab, dort sah man Gärten und Seen und dazwischen Gehwege und Hängeröhren für den städtischen Verkehr. Das alles verlor sich in einem bläulichen Nebel, der immer wieder zerrissen wurde von Abgründen voller Neonlicht, riesigen vielstöckigen Kaufhäusern und schroffen Felswänden. Schwärme farbenfroher Luftfahrzeuge erfüllten die Luft, einige sahen aus wie exotische Libellen oder Kolibris. Passagierluftschiffe glitten träge durch das Gedränge; in den Gondeln standen Dutzende von winzigen Nachtschwärmern und schauten über den Rand. Über ihnen türmten sich die höchsten Gebäude auf wie geometrische Wolkenberge. Vor dem reinen Stahlblau des Himmels glänzte das feine,
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